Der Judas-Schrein
wischte sich den Regen aus dem Gesicht. »Ist Ihnen aufgefallen, dass der Dorfgendarm bei den Presseleuten steht? Sollten wir ihn nicht zurückpfeifen?«
Körner grinste. »Ich habe ihm einen Auftrag gegeben, er wird jetzt ein Medienstar. Schnappen Sie ihn sich, wenn er damit fertig ist, und versuchen Sie alles über eine Sabine Krajnik zu erfahren. Das ist unser Mädchen.«
Körner setzte sich ebenfalls in Bewegung. Aus dem Krankenwagen war ein hagerer, junger Mann im Steppmantel geklettert. Er hielt einen dampfenden Kaffeebecher in der Hand, reckte den Hals und blickte sich auf dem Platz um. Die langen Haare, welche die Hälfte seines Gesichts verdeckten, ließen ihn wie einen Studenten aus reichem Hause erscheinen.
Bloß keine Vorurteile, ermahnte sich Körner und hielt auf ihn zu.
»Körner, Morddezernat vom Landesgendarmeriekommando Wien«, stellte er sich vor. Der Junge war ebenso groß wie Körner und starrte ihn herausfordernd an.
»Haben Sie die Fotos an die Polizei gefaxt?«
»Ich habe die Bilder an die Redaktion gemailt.« Der Pressefotografstrich sich die Haare aus der Stirn. »Die haben die Fotos an den Posten Neunkirchen gefaxt.«
»Verstehe.« Körner nickte. »Weshalb waren Sie heute Morgen hier?«
»Muss ich Ihnen das sagen?« Der Junge nippte am Becher.
Körner nickte stumm. Wie schon so oft, war er an einen Schlaumeier geraten. Diese Art Reporter kannte er zur Genüge. Sie hielten sich für gewieft, dachten sie könnten allein mehr Informationen über den Fall sammeln und der Polizei ein Schnippchen schlagen. Im Grunde gab es nur zwei Arten von Journalisten: Diejenigen, die mit der Polizei zusammenarbeiteten, und jene, die es nicht taten. Körner hasste die Letzteren - und sie hassten ihn.
Der Junge wollte sich abwenden.
»Sie bleiben hier!« Körners Stimme hatte einen eisigen Ton angenommen.
Der Bursche starrte ihn an. Regen fiel ihm in den Becher. »Ich muss Ihnen nichts sagen«, wiederholte er.
»Doch! Sie sind mein Hauptverdächtiger. Sie haben kein Alibi!«
»Was?« Dem Fotografen fielen die Augen aus dem Kopf. »Ich war mit Franka hier, unserer Reporterin. Sie sitzt im Auto«, sprudelte es aus ihm heraus, während er auf den Krankenwagen deutete. »Wir bekamen einen anonymen Anruf in die Redaktion: Etwas Schreckliches werde in den Morgenstunden passieren. In der Disco in Grein. Franka nahm mich mit. Wir fuhren sofort los. Ich war die ganze Zeit hier draußen. Sie lief vor, sah durchs Fenster und rief: Hol die Polizei, hier passiert gleich ein Mord!«
»Aber das haben Sie natürlich nicht getan, sondern erst mal hübsch abgewartet, bis der Mord tatsächlich passiert war, und anschließend die Leiche für Ihre Redaktion fotografiert.« Körner drückte dem Jungen den Finger auf die Brust. »Ich hänge Ihnen Beihilfe zum Mord an!«
»Nein! Was erzählen Sie da? Ich stürzte zu Franka ins Lokal, und da war es schon passiert. Sie stand vor der Leiche.«
»Und Sie haben drauflosgeknipst. Stehen Sie auf Leichenfotos?«
»Nein, verdammt! Ich hielt die Kamera in der Hand. Ein Reflex! Ich bin Fotograf!«
»Sie haben die Tür aufgebrochen, um an Ihre Fotos zu kommen! Machen Sie das öfter?«
»Zum Teufel nein! Was wollen Sie mir da anhängen? Die Tür zum Lokal stand offen. Wir kamen zu spät und sahen nur noch die Tote.«
»Vielleicht war sie noch gar nicht tot. Unterlassene Hilfeleistung!«
»Mann, sie war tot! Das hat man doch gesehen!« Die Hand des Jungen vibrierte, der Kaffee schwappte über den Becherrand. Körner schmunzelte.
Da stieg dem Burschen die Zornesröte ins Gesicht. »Oh, Mann! Sie haben mich reingelegt. Ich bin gar nicht verdächtig.«
»Schlaumeier!«
»Arschloch.«
Körner grinste. »Wie spät war es, als Sie die Leiche fanden?«
»Ich sollte Ihnen nichts mehr sagen.«
»Sie haben mir schon genug verraten. Wollen Sie mit aufs Revier?«
»Fünf Minuten nach acht. Die Kirchenglocke läutete, als wir ankamen.«
Körner überlegte. »Wenn Ihre Kollegin den Mord durchs Fenster beobachtet hat, bedeutet das, wir haben eine Augenzeugin und die exakte Tatzeit. Perfekt! Ich danke Ihnen.«
Der Fotograf verzog das Gesicht. »Ihr geht es nicht besonders. Sie steht unter Schock und spricht nicht.«
»In Ordnung, ich sehe sie mir an.« Körner ging um den Krankenwagen herum.
»Warten Sie noch einen Moment.« Der Junge trat von einem Bein aufs andere. Mit einem Mal hatte er seine Lässigkeit verloren. Er sah Körner flehend an.
»Ich weiß nicht, was Franka
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