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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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mir Zutritt zur Bibliothek ihres Vaters gewährte. Ich hatte schon viel von der Büchersammlung des Bürgermeisters gehört, mich jedoch nie sonderlich dafür interessiert. Diesmal war es anders. Ich wollte herausfinden, wer jener Hutzinger war, dessen Federzeichnungen Pater Dorn so faszinierten. Nach einem zweistündigen Studium der Bände in der nach Pfeifentabak miefenden Bücherstube wurde ich endlich fündig. Ich hatte meine Nachforschungen viel zu umständlich begonnen, dabei lag die Antwort so nahe! Es war kaum zu glauben, doch Hutzinger war ein ortsansässiger Historiker gewesen. Ich fand einen bemerkenswerten Eintrag im Grainer Taufbuch aus dem 18. Jahrhundert. Da Hutzinger während der Kriegsjahre um 1740 als Sohn einer gewissen Magda Hutzinger unehelich zur Welt gekommen und der Vater nicht benannt worden war, hatte der damalige Pfarrer ein lapidares Husarenkind in das Taufbuch eingetragen.
    In den Grainer Annalen stand zu lesen, dass Josef Hutzinger 1761 nach Wien gegangen war, um an der von Maria Theresia errichteten Orientalischen Akademie fünf Jahre zu studieren. Dort wurden so genannte »fähige Jünglinge» für die Geschäfte mit der Ottomanischen Pforte ausgebildet, wie ich nachlesen konnte. Reisen in den Orient folgten, bis Hutzinger 1798 als alter Mann nach Grain zurückkehrte, um sich der Niederschrift seiner Erkenntnisse zu widmen. Leider war nichts darüber zu lesen, was er im Orient erlebt hatte.
    Allerdings bot das Grainer Totenbuch einige interessante Details. Da die Geburtszeiten und das Alter der Verstorbenen nicht immer bekannt waren, fand ich von dem damaligen Pfarrer oftmals folgende Eintragungen in den Matrikeln: »Er ist beiläufig 70 Jahre alt«, oder »Er ist gegen 75 Jahre, so sagen die Kinder«. Über Josef Hutzinger stand folgendes zu lesen: »Er wurde 60 und etliche Jahr und hat weder Arzt noch Medizin gebraucht.« Da Josef Hutzinger bis zu seinem Lebensende allerdings ungetauft geblieben war, wurde er in einer Ecke des Friedhofs, im so genannten Unschuldigen Häuslein, begraben, wo auch heute noch die ungetauften Tot- und Fehlgeburten beigesetzt werden, da sie nicht in geweihter Erde bestattet werden dürfen. Ich kenne dieses Häuslein. Es ist ummauert und gedeckt, damit, wie man damals sagte, die Hexen und bösen Geister keine Gewalt über die toten Kinder bekommen konnten. Märchengarn!
     
    17. Jänner: Ich bin schockiert, kann es immer noch nicht fassen. Pater Dorn ließ heute die Sonntagsmesse ausfallen! Der Pater schloss sich in seinem Studierzimmer ein, wo er keine Besucher duldete. Ich musste die Gläubigen vertrösten. Während wir unter dem Kirchenvordach standen, kam ein schreckliches Schneegestöber auf, dennoch gingen die letzten Wartenden erst zwei Stunden, nachdem die Messe hätte beginnen sollen, heim.
    Bis lange in die Nacht brannte Licht in der Kammer des Paters. Er holte mich lediglich ein einziges Mal zu sich, da er um einen Krug Wasser bat. Ich sah, dass er an seinem Pult über Hutzingers Buch gebeugt saß und beim Schein der Öllampe merkwürdige Zeichnungen auf einen Papierbogen kritzelte. Danach ging ich in meinem Zimmer zu Bett.
     
    18. Jänner: Pater Dorn empfing mich beim Frühstück mit den Worten: »Max, wir bauen eine Maschine!« Ohne weiteren Kommentar rieb er sich die Hände und marschierte in den Ort.
    Obwohl es wiederum mein freier Tag war, verzichtete ich abermals darauf, Adalbert Schmal beim Ausmisten der Ställe zu helfen - stattdessen schlich ich mich in Pater Doms Studierzimmer. Bestimmt hielt er mich für einen einfältigen Burschen, unfähig, sich die eigenen Schlussfolgerungen zusammenzureimen. Doch da täuschte er sich. Mittlerweile wusste ich, wer Josef Hutzinger war, und dass er den Großteil seines Lebens im Orient verbracht hatte. Nun lag sein Buch vor mir, unauffällig klein, in weinrotes Leder gebunden. Der Titel lautete: Arghuls Maschinen. Ich öffnete es, blätterte die ersten knackenden Pergamentseiten um und begann zu lesen. Nach einer Stunde schlug ich das Buch bestürzt zu. Es enthielt auf weniger als einhundert Seiten nichts weiter als minutiöse Bauanleitungen für monströse Maschinen, deren Sinn ich nicht herausfinden konnte. Hutzingers Vorwort befasste sich mit dem Lebenslauf eines gewissen Ibn Ben Arghul, der um 750 n. Chr. in Damaskus gelebt hatte. Hutzinger widmete sein gesamtes Buch den Studien dieses Erfinders, von dem wohl die technischen Baupläne stammten. Unglaublich, dass so etwas vor über tausend Jahren

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