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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Jänner: Im Kirchhof stapeln sich bereits Dutzende Metallteile unter einer Plane, welche Pater Dorns eigenartige Errungenschaften vor dem Schnee und den Blicken Neugieriger schützen sollen. Heute begann er mit dem Zusammenbau der ersten Teile. Ich hörte ihn bis zum Abend hämmern, feilen und sägen.
     
    28. Jänner: Der Pater schickte mich mehrere Male in den Ort, um Nägel, Zwingen, Winkeleisen und sonderbar aussehende Werkzeuge zu besorgen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existierten.
     
    29. Jänner: Pater Dorn trug mir auf, das Gewölbe und den Türkenschacht von allem unnötigen Gerumpel zu säubern. Der Tag der Wahrheit naht, wie er sagte. Den gesamten Vormittag schleppte ich Dutzende Säcke mit Müll in den Pfarrhof, die ich nebeneinander an die Mauer stapelte. Nach einem kargen Mittagessen hievten wir die ersten Teile der Maschine durch den Bodenriss in das Gewölbe, wo Pater Dorn die Stücke zusammenmontierte.
    »Es geht voran.« Der Pater rieb sich die Hände. Er arbeitete wie ein Besessener, studierte zwischendurch immer wieder die Anleitung und überprüfte jeden Handgriff mehrere Male, bis er damit zufrieden war. Langsam wurde mir die Dimension der Maschine bewusst. Das Monstrum besaß eine abnorme Geometrie. Gleichgültig von welcher Ecke des Gewölbes man es betrachtete, ständig hatte man das Gefühl, alle Seiten und Nischen einzusehen, als präsentiere sich die Apparatur immerfort in ihrer gesamten schrecklichen Komplexität.
    Immer wieder schleppte ich Teile heran, bis ich Stunden später mit blutenden Händen auf der Steintreppe zusammenbrach.
    »Max, weiter!«, herrschte mich Pater Dorn an. Ich atmete flach, ohne mich zu bewegen. »Übermorgen ist Sonntag«, keuchte ich. »Wir sollten uns auf die Heilige Messe vorbereiten.«
    »Was glaubst du, was wir hier tun?« Er zerrte mich auf die Beine. »Wir sind auf dem besten Weg, die Heilige Messe in ihrer reinsten Form zu zelebrieren! Du zweifelst doch nicht daran?« Er schüttelte mich. »Möchtest du dich ein Leben lang in dem Gefühl der Unwissenheit wiegen, nie sehen und nie richtig begreifen? Oder möchtest du stattdessen die endgültige Wahrheit erfahren?«
    »Ibn Ben Arghul ist darüber wahnsinnig geworden!«, entführ es mir.
    Da ließ mich der Pater los. Sein Gesicht wurde länger, mit kalten Augen starrte er mich an. »Oh, ich verstehe«, flüsterte er. »Du hast hinter meinem Rücken spioniert und hältst dich für schlau. Du denkst, ich weiß nicht, worauf ich mich einlasse. Oh, du irrst.« Er lächelte. »Ich werde die Wahrheit erkennen.«
    »Selbst wenn das im Wahnsinn endet?«, fuhr ich ihn an. Er holte aus und schlug mir ins Gesicht. »Ibn Ben Arghul war schwach, sein Geist auf Irrwegen. Ein Araber, ein Anhänger Mohammeds«, spie der Pater verächtlich aus. »Er hatte eine göttliche Vision, der Bauplan einer überirdischen Maschine offenbarte sich ihm, doch er wusste nicht, sie zu nutzen.«
    Pater Dorn schritt mit ausgebreiteten Armen in die Mitte des Gewölbes. »Josef Hutzinger trug Arghuls Baupläne zusammen, schrieb sie in ein Buch, das durch eine glückliche Fügung hier in Grain landete … wo ich es fand! Wir wurden von Gott auserwählt. Es ist unsere Bestimmung, das zu Ende zu führen, woran Ibn Ben Arghul und alle, die ihm folgten, gescheitert sind. Gott ist auf unserer Seite, denn wir gehören der Gemeinschaft Christi an.«
    »Doch wenn wir uns irren?« Tränen liefen mir über die Wangen.
    Pater Dorn kniete sich vor mir nieder und flehte mich an. »Wir haben eine Mission zu erfüllen, Gott wird uns schützen!«
    Ich wusste nicht mehr, woran ich glauben sollte. Seit der Pater in Hutzingers Buch gelesen hatte, war er von diesem Gedanken besessen. Aber er wusste nicht, worauf er sich mit dem Bau des Geräts einließ. Wie konnte er glauben, die Maschine unter Kontrolle halten zu können? Er konnte unmöglich voraussehen, wie dieser Wahnsinn enden würde. Und dann war es endlich heraus, es kam wie ein Frevel über seine Lippen.
    »Mit dieser Maschine werde ich die Dorfbewohner Demut lehren.« Er gab mir zu trinken, wusch mir das Blut von den Händen und schickte mich nach oben, um weitere Teile zu holen. Danach arbeiteten wir ohne Unterbrechung bis in die Nacht.
     
    31. Jänner: Heute war bereits der dritte Sonntag, an dem die Messe ausfiel. Doch diesmal war alles anders. Ich musste keine Gläubigen vertrösten, schon gar nicht mit knappen Worten abwimmeln, denn mittlerweile kam niemand mehr den Kirchberg herauf.

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