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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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im Orient existiert haben soll.
    Hutzinger ließ sich über Ibn Ben Arghuls Tod nur kurz in seinem Nachwort aus. Im Alter von vierunddreißig Jahren wurde der arabische Erfinder geisteskrank und wollte sich zur Sühne für seine Werke selbst richten. Er baute seine letzte Maschine, die ihm bei lebendigem Leib die Eingeweide aus dem Körper riss.
    Ich fuhr zusammen, als ich Pater Doms Stimme vor dem Kirchhof hörte. Rasch verließ icK seine Studierkammer und lief zu ihm in den Hof. Er hielt den Griff eines Leiterwagens in der Hand. »Schau nur!«, rief er erfreut und warf die Plane zurück. In dem Wagen befand sich alter, rostiger Krempel: Ketten, Fußpedale, Seilzüge, Handkurbeln, Zahnräder und metallene Federn. Das alles erinnerte mich an das Gerumpel, welches wir im Türkenschacht entdeckt hatten.
     
    24. Jänner: Diesen Sonntag holte mich Pater Dorn eine halbe Stunde vor Messbeginn zu sich in die Studierkammer. Er hatte etliche Seiten aus Hutzingers Buch gerissen und die Blätter so zusammengesetzt, dass eine gigantische Skizze entstand. »Schau nur, Max!« Stolz präsentierte er mir den Bauplan, wie er sein Werk nannte. »Das ist der Schlüssel zur mächtigsten aller Apparaturen.« Die Lautlose Maschine stand zu oberst auf das Blatt gekritzelt. »Die Konstruktionsanleitung für den Bau dieser Maschine galt seit Ibn Ben Arghuls Tod als verschollen. Nach mehr als tausend Jahren hat sie der Autor dieses Buches in Konstantinopel aufgespürt. Die Blätter lagen in einer geheimen Kammer in der Hagia Sophia verborgen.« Pater Dorn grinste. »Max, du verstehst die Zusammenhänge natürlich nicht, doch wir werden diese Maschine bauen.« Ich verstand sehr wohl, und ich wusste, was der Bau der Maschine bedeutete. Während Pater Dorn fasziniert auf mich einredete, hörte ich das Gemurmel der Gläubigen aus der Kirche, die - es war bereits sechs Uhr abends - auf den Pater und seine Messe warteten.
    »Schau nicht ständig zur Tür!«, fuhr mich Pater Dorn an. »Hier!« Er pochte auf die Blätter. »Hier liegt der wahre Glaube verborgen.«
    Er packte mich am Kragen. »Du wirst die Wahrheit noch verstehen lernen, Max - später, viel später, wenn du das Buch mehrere Male gelesen hast. Glaube mir. Falls stimmt, was hier steht - und davon bin ich überzeugt - beschwört die Maschine eine Wahrheit kosmischen Ausmaßes. Es ist der endgültige Beweis, dass Gott existiert. Max, verstehst du? Gott ist nicht in dem Raum, wie wir ihn kennen, sondern dazwischen. Die Maschine funktioniert wie eine Brücke, sie schafft eine Verbindung, öffnet ein Tor zu anderen Sphären. Sie verwandelt Ungläubige in Sehende. Durch sie werden wir geläutert!«
    Wirres Gerede! Unwillkürlich musste ich daran denken, wie sich Ibn Ben Arghul selbst umgebracht hatte. Bestimmt spürte Pater Dorn meine Bedenken, denn plötzlich verstummte er und sah mich mit funkelnden Augen an. »Du zweifelst doch nicht etwa an meinen Worten?« Ich schüttelte den Kopf.
    »Es ist ein gefährlicher Weg, für den wir uns entscheiden, doch er wird sich lohnen. Wir sind Pioniere, am Ziel wartet die Erleuchtung auf uns.« Er packte mich fester. »Kann ich mich auf deine Hilfe verlassen?«
    Ich wollte den Kopf schütteln, doch schließlich brachte ich ein krächzendes Ja hervor. Welche Wahl hatte ich? Ich konnte Messdiener bleiben oder Stalljunge werden. Oh, wie ich mich für meine Schwäche hasse!
     
    25. Jänner: Wie ich eben von der Tochter des Bürgermeisters erfuhr, hat Pater Dorn gestern den Grainer Schmied gebeten, weitere Teile für ihn anzufertigen. Die Zahnräder, Platten, Bolzen und Federn seien für die Restauration des Chorbogens und des Holzbodens gedacht, wie Pater Dorn dem Schmied weismachte. Er stellte seine Zeichnungen mehreren Handwerkern zur Verfügung und blieb ihnen natürlich das Geld für den Auftrag schuldig. Unglaublich, wie der Pater die Ortsbewohner an der Nase herumführt!
     
    26. Jänner: Heute tobte der Winter strenger denn je, und trotzdem reisten Pater Dorn und ich mit Adalbert Schmals Eselgespann nach St. Gyden im Dekanat Kempen. Während der Fahrt erfuhr ich, dass der Pater letzte Woche einige Briefe geschrieben hatte. So wurden wir in St. Gyden bereits von einem Maschinenschlosser empfangen, der uns die notwendigen Teile für das Triebwerk aushändigte, jenen Kernmechanismus, ohne den die Maschine nicht funktionieren würde, wir mir der Pater erklärte. Schwer beladen traten wir während des Sturms die lange Rückfahrt nach Grain an.
     
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