Der Judas-Schrein
heute Nachmittag gegen vierzehn Uhr recht, wenn die Rot-Kreuz-Helfer zur Tetanus-Impfung kommen?«
Webers Schläfenadern pochten, Körner glaubte die Zahnräder hinter der Stirn klicken zu hören.
»Ihnen traue ich das sogar zu«, murrte der Arzt. »Schon gut, kommen Sie mit. Wenigstens habe ich Sie dann vom Hals.« Er schritt an ihnen vorüber.
Körner warf der Kriminalpsychologin einen anerkennenden Blick zu. Mit Daumen und Zeigefinger formte er einen Kreis.
»Subtil und diplomatisch«, flüsterte sie ihm zu.
Sie folgten Weber in einen Raum mit der Aufschrift: Hausapotheke. Die fensterlose Kammer bestand lediglich aus Stellagen und versperrbaren Vitrinen, in denen sich Hunderte Medikamentenschachteln stapelten. In dem Raum lag ein subtiler Geruch nach Krankenhaus.
»Grein ist zu klein für eine Apotheke, die Medikamente werden über meine Ordination Vertrieben.« Der Arzt zog zwei Bände aus einem Regal, die er Körner vor die Nase hielt. In den Büchern befanden sich seitenweise scheinbar willkürliche Abkürzungen und tabellarische Zahlenkolonnen in einer schrecklichen Handschrift, doch nichts, woraus Körner schlau wurde.
»Hier das Eingangsbuch. Die Kürzel MA stehen für die Merkur-Apotheke in Neunkirchen, AKH für das Allgemeine öffentliche Krankenhaus in Wiener Neustadt und TP für die Torrex Pharma GesmbH in Wien. Valium trägt das Kürzel VA.«
Weber drückte ihm das zweite Buch in die Hand. »Hier das Ausgangsbuch. Die Valiummengen sind in Milligramm angegeben, und die Nummern am Tabellenrand sind die Karteinummern meiner Patienten. Diese bleiben selbstverständlich anonym, es sei denn, Sie zeigen mir eine entsprechende Verfügung der Staatsanwaltschaft. Sie entschuldigen mich.«
Er drängte sich an Körner und Berger vorbei und ließ sie in der Kammer allein.
Eine Stunde später standen Körner und Berger unter dem Vordach der Arztpraxis. Regentropfen explodierten vor ihren Füßen auf dem Boden und vom Container wehte ihnen wieder der Gestank von Aas entgegen.
Körner nagte an der Unterlippe. Sie hatten nichts gefunden. Weber erhielt pro Quartal eine größere Lieferung an Pharmaka, allerdings waren die ausgehenden Mengen nicht unüblich und verteilten sich regelmäßig übers Jahr. Es bedurfte keiner großen Raffinesse, dabei zwölf Milligramm Valium abzuzweigen, aber im Moment konnten sie Weber nichts nachweisen. Für alle weiteren Schritte benötigten sie den Staatsanwalt. Doch Hauser war mit wackeligen Indizien nicht zu beeindrucken. Selbst bei handfesten Beweisen zögerte er manchmal. Er war dafür berühmt, dass er die Kripo bei ihren Ermittlungen bremste. Körner hätte vor Wut schreien mögen.
Er wandte sich an seine Kollegin. »Ich sage Ihnen eines: Der Arzt ist nicht sauber. Aber ich weiß nicht, wie wir ihn drankriegen können.«
Missbilligend verzog sie den Mund. »Sie können ihn nicht leiden, aber deswegen ist er nicht gleich verdächtig.«
»Blödsinn! Ich kann ihn nicht leiden? Wie kommen Sie darauf?«
»Leise!« Sie hob beschwichtigend die Hand. »Es muss nicht gleich der gesamte Ort mithören.«
»Was soll das? Erstellen Sie jetzt ein Profil von mir?«
»Ich kann zuhören, Körner. Sie hassen ihn seit dem Zeitpunkt, als er Ihnen Ihre einzige Augenzeugin vor der Nase weggeschnappt hat.«
»Ich …« Er stutzte. Sie hatte Recht, der Mistkerl hatte die Reporterin in einen Dämmerzustand versetzt. Ihre Aussage hätte den Fall lösen können, doch im Moment war nicht daran zu denken.
»Außerdem sind Sie auf dem Holzweg«, fuhr Berger fort. »Unser Doktor hat ein Alibi, das habe ich gestern geprüft.«
Körner kickte einen Kieselstein über die Straße. »Ich behaupte nicht, dass eres war, aber er hat damit zu tun, und er weiß etwas. Das spüre ich! Wir müssen unbedingt an die Leichen dieser beiden Geschwister herankommen.«
»Bitte?« Bergers Augen wurden groß. »Sie überstürzen die Ermittlungen.«
»Ich überstürze gar nichts. Wir suchen einen Killer, der womöglich die drei Kinder der Krajniks auf dem Gewissen hat.« Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor zehn, Hauser saß bestimmt schon beim Frühstück. Er zog das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Staatsanwalts. »Ja, hallo? Hier spricht Körner, Landesgendarmeriekommando Wien. Ich möchte Sie kurz im Fall Krajnik sprechen.«
Hauser wollte abblocken, da er bereits von Jutta Koren gebrieft worden war, wie er es nannte, doch Körner blieb hartnäckig und erzählte ihm von Sabine
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