Der jüdische Krieg.
jeder Art. Dann riß er sich los und kehrte trotz der schlechten Jahreszeit nach Cäsarea zurück.
Auf dem Schiff brannten ihn wild und heftig die ehrgeizigen Träume seiner Großmutter. Der General Titus, so jung er war, hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Das Auf und Ab seines Vaters, der Wechsel vom Konsul zum Spediteur, von prunkender Ehrenstellung in drückende Armut, hatten an seinem Schicksal mitgezerrt. Er war zusammen mit dem Prinzen Britannicus erzogen worden, hatte mit diesem jungen, strahlenden Anwärter auf den Thron an einem Tisch gelegen, hatte vom gleichen Gericht gegessen, als Kaiser Nero ihn vergiftete, und war selber erkrankt. Er kannte den Glanz des Palatins und das kahle Stadthaus seines Vaters, das stille Leben auf dem Land und die abenteuerlichen Feldzüge an der deutschen und der englischen Grenze. Er liebte seinen Vater, seine nüchterne Klugheit, seine Genauigkeit, seinen gesunden Menschenverstand; aber oft auch haßte er ihn wegen seines bäurischen Wesens, seiner Bedächtigkeit, seiner Würdelosigkeit. Titus konnte wochenlang, monatelang Strapazen und Dürftigkeit ertragen, dann, unversehens, überfiel ihn ein wüster Drang nach Luxus und Ausschweifung. Er war empfänglich für die gelassene Würde altrömischer Adelsfamilien, und der hiera tisch üppige Prunk der uralten Königsgeschlechter des Orients erregte sein Herz. Er hatte auf Betreiben seines Onkels Sabin sehr jung geheiratet, ein dürres, strenges Mädchen aus großer Familie, Marcia Furnilla, sie hatte ihm eine Tochter geboren, aber sie war ihm dadurch nicht lieber geworden; kahl und kümmerlich saß sie in Rom, er sah sie nicht, er schrieb ihr nicht.
Der alte Vespasian empfing seinen Sohn grinsend, mit vergnügtem Bedauern: »Wir haben offenbar eine Linie, mein Sohn Titus, die Linie rauf, runter. Wir müssen sehen, daß wir das nächstemal früher aufstehen und es auf gescheitere Art deichseln. Der Retter kommt aus Judäa. Du bist jung, mein Sohn, du darfst meinen Juden nicht blamieren.«
Agrippa und seine Schwester luden zu einem Fest, um den Neubau ihres Palais in Tiberias einzuweihen. Dem Marschall war die Prinzessin unsympathisch, er schickte seinen Sohn.
Dem Titus kam der Auftrag nicht unwillkommen. Er liebte das Land Judäa. Das Volk war alt und weise, und so hirnlose Sachen es anstellte, es hatte Instinkt für das Jenseitige, für das Ewige. Der seltsame, unsichtbare Gott Jahve lockte und bedrängte den jungen Römer. Auch imponierte ihm König Agrippa, seine Eleganz, seine melancholische Gescheitheit. Titus ging gern nach Tiberias.
Sosehr Agrippa und sein Haus ihm gefielen, so enttäuscht war er von der Prinzessin. Er wurde ihr vorgestellt, unmittelbar bevor man zu Tisch ging. Er war gewohnt, rasch Kontakt mit Frauen zu finden; sie hatte für seine ersten Sätze ein gleichmäßig höfliches Ohr und nicht mehr. Er fand sie kalt und hochfahrend, ihre dunkle, ein wenig heisere Stimme befremdete ihn. Er kümmerte sich während des Essens wenig um Berenike, dafür um so mehr um die übrige Gesellschaft. Er war heiter, ein amüsanter Erzähler, man hörte ihm mit Wärme und Aufmerksamkeit zu. Er vergaß die Prinzessin, und während des langen Mahls wechselten sie nur spärlich Rede und Antwort.
Das Mahl war zu Ende. Berenike erhob sich; sie war eigenwillig angezogen, es war ein Kleid aus einem Stück wie hier zulande üblich, aus kostbarem, schwer fallendem Brokat. Sie nickte Titus zu, gleichgültig freundlich, begann die Treppen hinaufzusteigen, die Hand leicht auf die Schulter ihres Bruders gestützt. Titus schaute ihr mechanisch nach. Er hatte sich in eine scherzhaft erbitterte Debatte über Militärtechnisches eingelassen. Plötzlich, mitten im Satz, brach er ab, seine neugierigen, rastlosen Augen wurden scharf, stierten, starrten hinter der Schreitenden her. Der kleinzahnige Mund seines breiten Gesichts stand etwas töricht halboffen. Seine Knie zitterten. Unhöflich ließ er seine Gesprächspartner stehen, eilte den Geschwistern nach.
Wie diese Frau ging. Nein, sie ging nicht, hier gab es nur ein Wort, das griechische, homerische: sie wandelte her. Es war gewiß lächerlich, das große, homerische Wort im Alltag zu gebrauchen, aber für das Schreiten dieser Frau gab es kein anderes. »Sie haben es aber eilig«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme. Bisher hatte diese ein wenig heisere Stimme ihn befremdet, fast abgestoßen, jetzt klang sie ihm erregend und voll von dunkeln Lockungen. Er
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