Der jüdische Krieg.
sich vor den Augen aller Welt spreizt?« Mucian sagte nicht ja noch nein. Josef fuhr fort, und seine Worte waren eine mit vielen bösen Erfahrungen bezahlte Erkenntnis. »Macht verdummt. Ich war nie dümmer als zu der Zeit, da ich an der Macht war. Samuel ist größer als Saul.« – »Ich finde«, sagte lächelnd Mucian, »in Ihrer Geschichte am sympathischsten den jungen David. Schade«, seufzte er, »daß das Projekt mit dem jungen Titus gescheitert ist.«
Sehr bald, nachdem Josef in Antiochia eingetroffen war, verabschiedete sich Berenike von Mucian. Sie gab ihre Hoffnungen auf. Sie fuhr ihrem Bruder entgegen, der in den nächsten Tagen in Galiläa erwartet wurde. Er war bis jetzt in Rom geblieben, aber nun gab er der Herrschaft Othos nur mehr wenige Wochen und wollte sich rechtzeitig und unauffällig aus Rom fortmachen, um sich nicht einem neuen Kaiser verpflichten zu müssen. Berenike atmete auf, als sie ihren heißersehnten Bruder wiedersehen sollte; die Bitterkeit des Mißerfolgs wurde gemildert durch diese Freude. »Süße Prinzessin«, sagte zum Abschied Mucian, »nun ich Sie vermissen soll, begreife ich nicht, warum ich nicht Ihretwegen den Prätendenten mache.« – »Auch mir fällt es schwer, das zu begreifen«, antwortete Berenike.
Sie traf ihren Bruder in Tiberias. Der Neubau des Palastes war fertiggestellt. Schöner als zuvor strahlte er über Stadt und See. Einzelne fensterlose Säle waren aus einem kappadokischen Stein gebaut, so durchscheinend, daß sie auch bei geschlossenen Türen hell blieben. Alles war leicht, luftig, nichts überladen, wie es jetzt in Rom Mode war. Ihr Meisterstück hatten die Architekten mit dem Speisesaal geliefert. Seine Kuppel war so hoch, daß der ermüdete Blick kaum ihre elfenbeinernen Deckenfelder erreichte; diese Felder waren drehbar, so daß man Blumen und wohlriechende Wasser auf die Speisenden regnen lassen konnte.
Die Geschwister gingen durch das Haus, sie hielten sich an den Händen, voll tiefer Freude einer am andern. Das Frühjahr hatte begonnen, schon wurden die Tage länger, mit weiter Brust schritten die beiden schönen Menschen durch die luftigen Säle; kennerisch genossen sie die beschwingten Maße des Baus, seine Erlesenheit. Agrippa erzählte mit einem ganz leisen Hohn von den neuen Palästen, die er in Rom gesehen hatte, von ihren leer-monströsen Dimensionen, ihrer geschmacklos gehäuften Pracht. Otho hat fünfzig Millionen für die Fertigstellung des Goldenen Hauses des Nero bewilligt; auch er wird die Vollendung des Baus kaum erleben. Berenike krümmte die Lippen. »Sie können nur raffen, diese römischen Barbaren. Sie glauben, wenn sie einen besonders seltenen Marmor in einen andern ebenso seltenen hineinschneiden und möglichst viel Gold darübersetzen, dann sei das der Gipfel der Baukunst. Sie haben kein Talent außer dem zur Macht.« – »Ein ganz vorteilhaftes Talent immerhin«, meinte Agrippa. Berenike blieb stehen. »Muß ich wirklich diesen Vespasian ertragen?« klagte sie. »Kannst du mir das auferlegen, mein Bruder? Er ist so plump und roh, er schnauft wie ein Hund außer Atem.« Agrippa erzählte finster: »Als ich jetzt in Cäsarea bei ihm war, ließ er mir Fische vorsetzen und betonte immer wieder, sie seien aus dem See Genezareth. Als ich die Leichenfische nicht aß, hänselte er mich bitter. Ich hätte manche gute Antwort gewußt, aber ich habe sie hinuntergeschluckt.«
»Er reizt mich bis aufs Blut«, empörte sich Berenike. »Wenn ich seine klobigen Witze höre, stehe ich wie in einem Schwarm von Stechmücken. Und daß dieser Mann Kaiser werde, dazu sollen wir helfen.« Agrippa redete ihr zu: »Ein Kaiser, den der Westen aufstellt, wird uns hier alles blind zerschlagen. Der Marschall ist klug und maßvoll. Er wird nehmen, was er brauchen kann, den Rest wird er uns lassen.« Er zuckte die Achseln: »Die Armee macht den Kaiser, die Armee schwört auf Vespasian. Sei meine kluge Schwester«, bat er.
Den jungen Titus hatte die Nachricht von der Ermordung Galbas in Korinth erreicht, noch vor seiner Ankunft in Rom. Es wäre sinnlos gewesen, weiterzufahren. Er war überzeugt gewesen, daß die Adoption durch Galba zustande kommen werde, es war ein schwerer Schlag für ihn, daß der Kaiser vorzeitig erledigt war. Er wollte nicht diesem Otho huldigen, an dessen Platz er sich selber geträumt hatte. Er blieb in Korinth, verbrachte in der leichtlebigen Stadt vierzehn wüste Tage, voll von Frauen, Knaben, Ausschweifungen
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