Der jüdische Krieg.
sagte irgend etwas von der notwendigen Eile des Militärs, es war nicht sehr schlagend, er fand sonst bessere Antworten. Er gab sich knabenhaft, täppisch beflissen. Berenike merkte gut, welchen Eindruck sie ihm machte, und sie fand ihn angenehm, von einer gewissen viereckigen Anmut.
Sie schwatzten von Physiognomik, von Graphologie. Das ist im Osten wie im Westen große Mode. Berenike möchte die Schrift des Titus sehen. Titus zieht sein goldgerändertes Wachstäfelchen vor, lächelt spitzbübisch, schreibt. Berenike wundert sich: das ist doch in jedem Schnörkel die Schrift seines Vaters. Titus gibt zu, er habe einen Scherz gemacht; eigentlich habe er keine eigene Schrift mehr, so oft sei er in den Schriften anderer spazierengegangen. Aber nun soll sie ihm ihre Schrift zeigen. Sie überliest, was er geschrieben hat. Es ist ein Vers aus einem modernen Epos: »Die Adler der Legionen und ihre Herzen breiten ihre Schwingen zum Flug.« Sie wird ernst, zögert einen Augenblick, dann glättet sie seine Buchstaben fort, schreibt: »Der Flug der Adler kann den Unsichtbaren im Allerheiligsten nicht zudecken.« Der junge General beschaut sich die Schrift; sie ist schulmäßig korrekt, ziemlich kindlich. Er überlegt, er wischt den Satz nicht weg, er schreibt darunter: »Titus möchte den Unsichtbaren im Allerheiligsten sehen.« Er reicht ihr Wachs und Griffel hinüber. Sie schreibt: »Der Tempel von Jerusalem soll nicht zerstört werden.« Nun ist nur mehr sehr wenig Raum auf der kleinen Tafel. Titus schreibt: »Der Tempel von Jerusalem wird nicht zerstört werden.«
Er will das Täfelchen wegstecken. Sie bittet, er möge es ihr lassen. Sie legt ihm die Hand auf die Schulter, fragt, wann endlich der grauenvolle Krieg zu Ende sein werde. Das Schlimmste sei das herzzermürbende, aussichtslose Warten. Ein rasches Ende sei ein mildes Ende. Er möge doch endlich, endlich Jerusalem nehmen. Titus zögert, geschmeichelt: »Das steht nicht bei mir.« Berenike – wie hat er sie je für kalt und hochfahrend halten können? – spricht flehend und überzeugt auf ihn ein: »Doch, das steht bei Ihnen.«
Vertraulich, nachdem Titus gegangen war, fragte Agrippa die Schwester nach ihrem Eindruck: »Er hat einen weichen, unangenehmen Mund, findest du nicht?« Berenike lächelte zurück: »Ich finde viel Unangenehmes an diesem Knaben. Er hat manche Ähnlichkeit mit seinem Vater. Aber es soll schon vorgekommen sein, daß jüdische Frauen mit Barbaren gut fertig wurden. Zum Beispiel Esther mit Ahasver. Oder Irene mit dem siebenten Ptolemäus.« Agrippa meinte, und Berenike erkannte gut die leise Warnung in seinem Scherz: »Aber unsre Urgroßmutter Mariamne zum Beispiel hat bei diesem Spiel den Kopf verloren.« Berenike erhob sich, schritt. »Sei unbesorgt, lieber Bruder«, sagte sie, ihre Stimme blieb leise, aber sie war sehr sicher und voll von Triumph, »dieser Knabe Titus wird mir nicht den Kopf abschlagen lassen.«
Sogleich nachdem er nach Cäsarea zurückgekehrt war, bestürmte Titus seinen Vater, nun endlich die Belagerung Jerusalems zu beginnen. Er wurde ungewohnt heftig. Er ertrage das nicht länger. Er schäme sich vor seinen Offizieren. So langes Zögern könne nicht anders ausgelegt werden denn als Schwäche. Das römische Prestige im Osten sei gefährdet, Ves pasians Vorsicht grenze an Feigheit. Die Dame Cänis hörte stattlich und mißbilligend zu. »Was wollen Sie eigentlich, Titus? Sind Sie so dumm, oder stellen Sie sich so?« Titus erwiderte heftig, der Dame Cänis könne man diese traurige Rechenhaftigkeit nicht verdenken; von ihr könne man nicht Sinn verlangen für soldatischen Anstand. Vespasian kam massig auf seinen Sohn zu. »Aber von dir, mein Junge, verlange ich, daß du dich schleunigst bei Cänis entschuldigst.« Cänis blieb gelassen. »Er hat recht, ich habe wirklich wenig Gefühl für Würde. Würde ist bei der Jugend immer populärer als Vernunft. Aber das sollte er eigentlich einsehen, daß nur ein Trottel in einer solchen Situation seine Armee abgibt.« Vespasian fragte: »Haben sie dich in Tiberias aufgehetzt, mein Junge? Einer nach dem andern. Ich bin erst sechzig. Zehn Jahre wirst du dich schon noch gedulden müssen.«
Als Titus fort war, ereiferte sich Cänis gegen das Pack in Tiberias. Natürlich waren es diese Juden, die sich hinter Titus gesteckt hatten. Der leisetreterische König, die pfaueneitle Berenike, der schmierige, unheimliche Josef. Vespasian tue besser, das ganze orientalische
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