Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
bisher durchzuführen. Ich schlage vor, zu diesem Zweck eine Blokkademauer um die Stadt zu errichten, daß keine Maus mehr hinein und keine mehr hinaus kann.
      Das wäre das eine. Das zweite wäre dies. Wir haben bisher jeden Tag stolz die Ziffern derjenigen bekanntgegeben, die trotz der Maßnahmen der Belagerten zu uns überlaufen. Wir haben diese Herrschaften sehr gut behandelt. Ich glaube, das macht unserm Herzen mehr Ehre als unserm Verstand. Ich sehe nicht ein, warum wir die Herren in Jerusalem von der Sorge für die Ernährung eines so ansehnlichen Teils der Bevölkerung befreien sollen. Kann man uns zumuten, nachzuprüfen, ob diejenigen, die jetzt zu uns übergehen, wirklich Zivilisten sind oder ob sie die Waffen gegen uns getragen haben? Ich schlage vor, Hoheit und meine Herren, in Zukunft diese Überläufer ausnahmslos als kriegsgefangene Rebellen zu behandeln und alles, was wir an Holz erübrigen können, zur Kreuzigung dieser gefangenen Rebellen zu verwenden. Das wird, hoffe ich, die innerhalb der Mauern veranlassen, auch in Zukunft hübsch innerhalb der Mauern zu bleiben. Schon sitzt ein großer Teil der Belagerten vor leeren Tischen. Ich hoffe, daß dann bald alle, auch die Truppen der Belagerten, vor leeren Tischen sitzen werden.« Der Marschall sprach leise, sehr verbindlich. »Je härter wir in diesen Wochen sind, um so humaner können wir in Zukunft sein. Ich schlage vor, Hoheit und meine Herren, den Hauptmann Lukian, den Chef der Profose, anzuweisen, bei der Kreuzigung der Rebellen nicht milde vorzugehen.«
      Der Marschall hatte ohne Nachdruck gesprochen wie bei einer Tischunterhaltung. Aber es war lautlos still, während er sprach. Der Prinz war Soldat. Immerhin schaute er angefremdet auf den Juden, der mit so leichter Rede so harte Maßnahmen gegen Juden vorschlug. Niemand im Rat hatte einen Einwand gegen Tiber Alexander. Es wurde beschlossen, die Blockademauer zu bauen und die Überläufer fortan zu kreuzigen.

    Vom Fort Phasael aus sahen die Führer Simon Bar Giora und Johann von Gischala, wie die Blockademauer hochstieg. Johann schätzte ihre Länge auf sieben Kilometer und zeigte mit geübtem Blick dem Simon dreizehn Punkte, wo offenbar Türme angelegt werden sollten. »Ein etwas schäbiges Mittel, mein Bruder Simon, meinen Sie nicht?« fragte er und grinste ein wenig fatal. »Dem alten Fuchs hätte ich das ohne weiteres zugetraut, aber der Junge mit seinem Geprotz von Mannhaftigkeit und soldatischer Tugend sollte eigentlich vornehmere Mittel anwenden. Nun ja. Jetzt sind wir aufs Johannisbrot gekommen oder eigentlich schon darunter.«
      Die Blockademauer wurde vollendet, und die Straßen und Höhen um Jerusalem säumten sich mit Kreuzen. Die Profose waren erfinderisch im Ausdenken neuer Stellungen. Sie nagelten die zu Exekutierenden so an, daß die Füße oben hingen, oder sie banden sie quer übers Kreuz, ihnen die Glieder raffiniert verrenkend. Zuerst bewirkten die Maßnahmen der Römer, daß die Zahl der Überläufer sich verringerte. Aber dann stieg der Hunger und der Terror in der Stadt. Viele sahen sich verloren. Was war klüger? In der Stadt zu bleiben, die Verbrechen der Makkabi-Leute gegen Gott und Menschen ständig vor Augen, und Hungers zu sterben? Oder zu den Römern überzulaufen und von ihnen ans Kreuz gehängt zu werden? Verloren war man innerhalb der Mauern, verloren außerhalb. Wenn der Stein auf den Krug fällt, wehe dem Krug. Wenn der Krug auf den Stein fällt, wehe dem Krug. Immer, immer wehe dem Krug.
      Es mehrten sich diejenigen, die das Sterben am Kreuz dem Sterben in Jerusalem vorzogen. Selten verging ein Tag, an dem nicht mehrere hundert Überläufer eingebracht wurden. Bald

    gab es keinen Raum mehr für die Kreuze und keine Kreuze für die Menschenleiber.

    Der Glasbläser Nachum Ben Nachum lag die meiste Zeit über auf dem Dach des Hauses in der Salbenmachergasse. Dort lagen auch das Weib des Alexas und die beiden Kinder, denn unter freiem Himmel spürte man den Hunger weniger. Auch wenn man sich das Kleid oder den Gürtel sehr eng um den Leib zog, linderte das den Hunger ein wenig; doch nur auf kurze Zeit.
      Nachum Ben Nachum war sehr vom Fleisch gefallen, sein dichter Bart war nicht mehr gepflegt, auch nicht mehr recht viereckig, und viele graue Haare durchzogen ihn. Manchmal quälte ihn die Ruhe im Haus, denn die Erschöpften hatten nicht viel Lust zu reden. Dann ging Nachum über die schmale Brücke, die von der Oberstadt zum Tempel führte, und

Weitere Kostenlose Bücher