Der jüdische Krieg.
sah ihn nicht an, hatte keinen Vorwurf für ihn. Er war ein Mann, ein Soldat, ein guter Junge im Grund. Schuld war dieses Lager, schuld war der Krieg. Sie verkommen alle in diesem Krieg, sie werden zu Tieren und Barbaren. Man hat alle denkbaren Greuel verübt innerhalb und außerhalb der Mauern, hat die Menschen geschändet, das Land, Jahve, den Tempel. Eine Tierhetze ist das Ganze wie in der Arena an den großen Tagen, man weiß nicht, wer Tier ist und wer Mensch. Jetzt hat also dieser Mann Titus sie genommen, ohne ihren Willen, er hat sie betrogen, und hernach hat er sie verhöhnt, trotzdem er sie liebt. Es ist das Lager, und es ist der Krieg. Es ist diese wüste, stinkende Männerkloake, und ihr ist recht geschehen, weil sie hergekommen ist.
Sie machte sich auf, jämmerlich, mühevoll, sie sammelte ihre Glieder, sie raffte ihr Kleid, sie schüttelte es, sie schüttelte den Dreck dieses Lagers von sich. Sie ging. Sie hatte keinen Vorwurf für Titus, doch auch keinen Gruß. Ihr Gang war noch immer, auch in dieser letzten Müdigkeit und Demütigung, der Gang der Berenike.
Titus stierte ihr nach, schlaff, ausgehöhlt. Es war sein Plan gewesen, die Frau aus seinem Blut zu bringen. Er wollte sich seinen Feldzug, seine Aufgabe nicht verhunzen lassen durch die Frau. Er wollte sie hinter sich haben, dann Jerusalem nehmen, und dann, den Fuß auf dem besiegten Jerusalem, sich entscheiden, ob er von neuem mit der Frau beginnen soll. Es war ein schöner Plan gewesen, aber er war leider schiefgegangen. Es hat sich gezeigt, daß leider bei der Frau mit Gewalt nichts auszurichten war. Sie war keineswegs heraus aus seinem Blut. Es hat gar nichts genützt, daß er sie genommen hat, er hätte ebensogut eine beliebige andere nehmen können. Sie ist ihm fremder als je. Er denkt scharf nach, er strengt sein Gedächtnis an: nichts weiß er von ihr. Er kennt nicht ihren Geruch, ihr Verlöschen, ihr Verströmen, ihre Lust, ihren Zusammenbruch. Sie ist ihm versperrt geblieben durch sechs Schlösser und verhüllt durch sieben Schleier. Diese Juden sind infernalisch gescheit. Sie haben ein tiefes, höhnisches Wort für den Akt, sie sagen nicht: einander beiwohnen, sie sagen nicht: sich miteinander mischen, ineinanderhineingehen. Sie sagen: ein Mann erkennt eine Frau. Nein, er hat diese verfluchte Berenike nicht erkannt. Und er wird sie nie erkennen, solange sie sich ihm nicht gibt.
Berenike unterdes lief durch die Gassen des Lagers. Sie fand ihre Sänfte nicht, sie lief. Kam in ihr Zelt. Gab hastige, ängstliche Anweisung. Verließ das Lager, floh nach Cäsarea. Verließ Cäsarea, floh nach Transjordanien, zu ihrem Bruder.
Am 18. Juni berief Titus einen Kriegsrat ein. Die Angriffe der Römer auf die dritte Mauer waren fehlgeschlagen. Mit ungeheurer Mühe hatten sie gegen diese Mauer und das Fort Antonia vier Wälle herangeführt, um ihre Panzertürme, Geschütze, Sturmböcke in Stellung zu bringen. Aber die Juden hatten Minenstollen gegen diese Werke gegraben, die Pfähle dieser Stollen durch Pech und Asphalt zum Brennen und zum Einsturz gebracht und mit ihnen die Dämme und Geschütze der Römer. Die mit soviel Mühe und Gefahr errichteten Werke waren vernichtet.
Die Stimmung im Kriegsrat war nervös und erbittert. Die jüngeren Herren forderten einen Generalangriff mit allen Mitteln. Das war die gerade, steile Straße zum Triumph, der allen vorschwebte. Die älteren Offiziere widersprachen. Ohne Panzertürme und Rammböcke eine mit allen Schikanen angelegte Festung zu stürmen, die von fünfundzwanzigtausend verzweifelten Soldaten gehalten wird, ist kein Spaß und kostet selbst im Glücksfall ungeheure Verluste. Nein, so langwierig das sein wird, es bleibt nichts übrig, als neue Dämme und Wälle zu bauen.
Ein verdrossenes Schweigen war. Der Prinz hatte trüb, aufmerksam und ohne einzugreifen zugehört. Er bat den Marschall um seine Meinung. »Wenn die Zeit bis zum Generalsturm«, begann Tiber Alexander, »uns lange werden soll, warum wollen wir sie nicht auch unsern Gegnern lang machen?« Erwartungsvoll, verständnislos sahen ihm die Herren auf den dünnen Mund. »Wir haben«, fuhr er mit seiner leisen, höflichen Stimme fort, »zuverlässige Nachrichten und sehen es mit unseren eigenen Augen, wie sehr der zunehmende Hunger der Belagerten unser Bundesgenosse ist. Ich schlage vor, Hoheit und meine Herren, uns mehr als bisher auf diesen Bundesgenossen zu stützen. Ich schlage vor, die Blockade schärfer als
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