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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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besuchte seinen Verwandten, den Doktor Nittai. Die Achte Priesterreihe, die Reihe Abija, war ausgelost worden, und Doktor Nittai schlief und wohnte jetzt im Tempel. Seine wilden Augen waren eingetrocknet, der überkommene Singsang kam nur mit Mühe von seinen geschwächten Lippen. Es war ein Wunder, daß der ausgedörrte Mann sich aufrecht halten konnte, aber er hielt sich aufrecht. Ja, er war weniger wortkarg als sonst, er hatte keine Furcht wegen seines babylonischen Akzents, er war glücklich. Die ganze Welt ist Netz und Falle, nur im Tempel ist Sicherheit. Auch Nachums Herz erhob es, wie trotz des Elends ringsum der Tempeldienst weiterging wie immer mit seinen tausend großartigen, umständlichen Zeremonien, mit Morgenopfer und Abendopfer. Die ganze Stadt verkam, aber Jahves Haus und Tisch blieb herrlich bestellt wie seit Jahrhunderten.
      Vom Tempel aus ging der Glasbläser Nachum oftmals zur Börse, zur Kippa. Eine ganze Reihe von Bürgern kam dort zusammen, aus alter Gewohnheit, trotz des Hungers. Worum man jetzt feilschte, das waren freilich nicht mehr Karawanen mit Gewürz oder Flotten mit Holz, sondern winzige Mengen Nahrungsmittel. Ein oder zwei Pfund verdorbenen Mehls, eine Handvoll getrockneter Heuschrecken, ein Fäßchen Fischsauce. Zu Anfang Juni hatte man das Gewicht des Brotes mit dem gleichen Gewicht in Glas aufwiegen müssen, dann mit dem gleichen Gewicht in Kupfer, dann in Silber. Am 23. Juni zahlte man für einen Scheffel Weizen, das waren 8,75 Liter, vierzig Mene, noch vor dem Juli ein ganzes Talent.
      Freilich mußte dieser Handel geheimgehalten werden; denn längst hatten die militärischen Machthaber alle Lebensmittel für die Truppen requiriert. Die Soldaten durchforschten die Häuser bis in den letzten Winkel. Mit ihren Dolchen und Säbeln kitzelten sie unter derben Witzen die letzte Unze Eßbares heraus.
      Nachum segnete seinen Sohn Alexas. Wo wäre man hingekommen ohne ihn? Er nährte das ganze Haus in der Salbenmachergasse, und der Vater bekam den größten Anteil. Nachum wußte nicht, wo Alexas seine Vorräte verborgen hielt, wollte es auch nicht wissen. Einmal kam Alexas nach Haus, verstört, blutend aus einer schweren Wunde. Wahrscheinlich war er von streifenden Soldaten betroffen worden, als er aus einem seiner Verstecke etwas von seinen Vorräten holen wollte.
      Bis in die Nieren voll von Angst und Grimm saß der Glasbläser Nachum neben dem Lager seines Ältesten, der, grau von Gesicht, geschwächt und ohne Bewußtsein dalag. Ach und oj, warum war er seinem Sohne Alexas nicht früher gefolgt? Sein Sohn Alexas ist der Klügste der Menschen, und er, der eigene Vater, hat nicht gewagt, sich zu ihm zu bekennen, einfach weil die Spitzel der Machthaber umgingen. Aber jetzt wird auch er den Mund nicht mehr verschließen. Wenn sein Sohn Alexas wieder aufsteht, dann wird er mit ihm zu dem Gelbgesichtigen gehen. Denn trotz allen Terrors tauchten aus dem wirren System unterirdischer Gänge und Höhlen unter Jerusalem immer neue Propheten auf, predigten Frieden und Unterwerfung und verschwanden wieder in der Unterwelt, bevor die Makkabi-Leute sie fassen konnten. Nachum war überzeugt, sein Sohn Alexas war vertraut mit dem Führer dieser Propheten, eben jenem Dunkeln, Geheimnisvollen, den alle nur den Gelbgesichtigen nannten.
      Er war so voll Grimm gegen die Makkabi-Leute, daß er den Hunger kaum mehr spürte; heftige Erregung vertrieb den Hunger. Vor allem gegen seinen Sohn Ephraim richtete sich seine Wut. Zwar gab der Knabe Ephraim aus der reichlichen Ration, die er als Soldat erhielt, Nahrungsmittel an Vater und Geschwister ab; aber tief in seinem Innern fürchtete Nachum, Ephraim könne es gewesen sein, der jetzt die Soldaten auf die Spuren des Alexas gehetzt habe. Dieser Verdacht, Ohnmacht und Grimm machten den Glasbläser Nachum fast verrückt.
      Alexas genas. Aber der Hunger wurde immer bitterer, die spärliche Nahrung war stets die gleiche, der Sommer war heiß. Das jüngste Söhnlein des Alexas starb, der Zweijährige, und wenige Tage später auch der ältere, der Vierjährige. Den Zweijährigen konnte man noch bestatten. Aber als der Vierjährige starb, waren der Leichen zuviel und der Kraft zuwenig geworden, man mußte sich begnügen, die Toten in die Schluchten hinunterzustürzen, die die Stadt umgaben. Nachum, seine Söhne und seine Schwiegertochter brachten die kleine Leiche an das Südosttor, daß der Hauptmann Mannäus Bar Lazarus, dem der Totendienst

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