Der jüdische Krieg.
mit ihm eingelassen hatte. Nicht groß, aber ausgiebig und kräftig von Figur, saß Johann vor ihm, das Gesicht braun, breit, mit kurzem Knebel bart, die Nase eingedrückt, die Augen grau, verschmitzt. Bei aller Schlauheit ein gutmütiger, offener Mann.
Er rückte sogleich mit einem eindeutigen Vorschlag heraus. Überall im Land habe König Agrippa Getreide gestapelt, zweifellos für die Römer. Johann wollte dieses Getreide für seine Wehrverbände requirieren, eine Notmaßnahme, für die er die Genehmigung Josefs erbat. Unter dem Einfluß der Geldsäcke und der Aristokraten, klagte er, verleugne Jerusalem den Zusammenhang mit seinen Wehrverbänden. Von Josef habe er den Eindruck, daß er anders sei als die leisetreterischen Herren im Tempel. »Sie, Doktor Josef, gehören im Herzen zu den ›Rächern Israels‹. Das riecht man auf drei Meilen im voraus. Ihnen möchte ich meine Wehrverbände unterstellen«, sagte er treuherzig und gab ihm eine genaue Liste seiner Organisation. Es waren achtzehntausend Mann. Josef gab seine Zustimmung, daß das Getreide requiriert werde.
Er fürchtete nicht den Sturm, den die Requirierung erregen mußte. Wenn er seine Stellung rücksichtslos ausnützte, wenn er die reale Macht in Galiläa in die Hand bekam, vielleicht, daß dann Jerusalem nicht mehr wagte, ihn abzuberufen. Und wenn, dann stand es bei ihm, ob er sich abberufen ließ. In einer fast fröhlichen Spannung wartete er, was geschehen werde.
Auch Johann von Gischala war von der Unterredung mit Josef befriedigt. Er war ein mutiger Mann und nicht ohne Humor. Ganz Galiläa wußte, daß er es war, der das Getreide des Königs Agrippa beschlagnahmte. Er gab sich unschuldig, wußte von nichts. Was sich ereignete, geschah auf Befehl des Jerusalemer Kommissars. In aller Öffentlichkeit reiste er in das Gebiet des Feindes nach Tiberias, um seinen Rheumatismus in den dortigen heißen Quellen zu kurieren. Er wußte, sollte Justus etwas gegen ihn unternehmen, dann würden seine Leute die Stadt Tiberias stürmen. Justus lachte. So verderblich ihm die Taten dieses Bauernführers erschienen, so gut gefiel ihm seine Art.
Nach Jerusalem aber und Sepphoris schickte er eine empörte Note. Aufgebracht, japsend vor Wut, kam der alte Doktor Jannai zu Josef. Das Getreide müsse natürlich sogleich zurückgegeben werden. Josef empfing den Eifernden sehr höflich. Das Getreide konnte leider nicht zurückgegeben werden, er hatte es weiterverkauft. Jannai mußte sich unverrichteterdinge vor dem höflich achselzuckenden Josef zurückziehen. Ein kleiner Trost blieb: Josef führte einen ansehnlichen Teil des Erlöses nach Jerusalem ab.
In der Stadt Tiberias gehörte zu den beliebtesten Agitationsmitteln der »Rächer Israels« der Kampf gegen die Gottlosigkeit der herrschenden Schicht, gegen ihren Hang, sich den Römern und Griechen zu assimilieren. Als Sapita das nächstemal bei Josef erschien, warf der ihm hin, wie auch er mit tiefstem Ingrimm die Statuen gesehen habe, die sich so provozierend vor dem Königspalast in der Sonne spreizten. Der finstere, gedrungene Mann zog die eine Schulter noch höher, seine kleinen Augen schauten auf, senkten sich wieder, er riß nervös an der einen Spitze seines zweigeteilten Bartes. Josef wollte ihn weiterstoßen. Er zitierte den Propheten: »Das Kalb ist im Lande, Jahve verwirft es. Menschenhand hat es gemacht, und es kann kein Gott sein.« Er wartete darauf, daß Sapita das berühmte Zitat weiterführe: »Darum soll das Kalb zerpulvert werden.« Aber Sapita lächelte nur, er überschlug diesen Teil und zitierte sehr leise, mehr in sich hinein als gegen Josef, den späteren Satz: »Sie säen Wind, und sie werden Ungewitter ernten.« Dann, sachlich, konstatierte er: »Wir protestieren immerzu gegen den verbrecherischen Unfug. Wir wären dem Kommissar von Jerusalem dankbar, wenn auch er in Tiberias vorstellig würde.«
Sapita war nicht so offen wie Johann von Gischala, aber auf seine leisen Andeutungen konnte man sich verlassen. Wer Wind sät, wird Ungewitter ernten. Ohne sich weiter mit Doktor Jannai zu verständigen, ersuchte Josef den Justus um eine zweite Unterredung.
Schlicht, mit einem einzigen Diener kam Josef diesmal nach Tiberias. Justus streckte ihm auf römische Art den Arm mit der flachen Hand entgegen, ließ ihn aber wieder sinken, lächelnd, sich korrigierend gewissermaßen, und gab den hebräischen Gruß: »Friede.« Dann saßen sich die beiden Herren gegenüber, ohne
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