Der jüdische Krieg.
der einheimischen griechisch-römischen Bevölkerung Judäas noch bei den Juden populär. Justus aber war vernünftig. Mit leidenschaftlicher Vernunft hatte er, solange er Kommissar der Stadt war, zwischen Juden und Nichtjuden vermittelt, um den Frieden aufrechtzuerhalten. Ohne Glück. Die Juden fanden ihn zu griechisch, die Griechen zu jüdisch. Die Griechen verübelten ihm, daß er nicht schärfer gegen Sapita vorgegangen war und daß er die Zerstörung des Palastes nicht verhindert hatte. Sie wußten, daß König Agrippa seinen Sekretär in hohem Ansehen hielt, und sie hatten nach der Wiedereinnahme der Stadt geschwiegen. Jetzt aber, durch die Anwesenheit des römischen Marschalls ermutigt, reichten sie Klage ein, der Jude Justus trage die Hauptschuld, daß der Aufruhr in Galiläa und in ihrer Stadt sich so habe ausbreiten können.
König Agrippa, in diesen zweideutigen Zeiten doppelt beflissen, den Römern seine Ergebenheit zu beweisen, wagte nicht, sich schützend vor seinen Beamten zu stellen. Der Oberst Longin andernteils, der höchste Richter in der Armee Vespasians, hatte sich’s zur Maxime gemacht, es sei besser, einen Unschuldigen hinzurichten als einen Schuldigen laufenzulassen. Die Sache sah also für Justus nicht gut aus. Justus selber, voll Menschenverachtung, hochmütig, bitter, verteidigte sich ohne Schwung. Mochte sein König ihn im Stich lassen. Er wußte, wen die Schuld traf an allem Übel, das in Galiläa geschehen war. Dem schillernden, oberflächlichen Burschen schlug alles, was er tat, zum Glück aus. Mochten ihn jetzt die Römer hätscheln. Es ist alles eitel. Justus war voll bis in die Poren seiner Haut von bitterm Fatalismus.
Oberst Longin nahm aus Rücksicht auf König Agrippa die Sache sehr gewissenhaft. Er lud den Josef als Zeugen. Josef, als er nun das Schicksal des Justus in die Hand bekam, wurde hin und her gerissen vom Zwiespalt. Justus hatte in die Winkel seines Herzens gesehen, wo es am schmutzigsten war: nun stand es bei ihm, ob dieser Mann für immer verschwinden sollte oder nicht. Für alles und für jeden wußte dieser Justus eine zureichende Erklärung, eine Entschuldigung. Für ihn nicht. Für ihn hatte er nur Schweigen und Verachtung. Josef hatte viel Würde von sich abgetan, er hatte Geduld gelernt, er ging in Ketten, aber Verachtung dringt selbst durch den Panzer einer Schildkröte. Es war so einfach, den Beleidiger für alle Zeiten verschwinden zu lassen. Josef brauchte nicht einmal zu lügen, es genügte, wenn seine Aussage lau war.
Seine Aussage war leidenschaftlich und für Justus günstig. Mit heftiger Überzeugung und mit guten Gründen tat er dar, niemand habe je konsequenter die Sache des Friedens und der Römer vertreten als dieser Doktor Justus. Und die ihn verklagten, seien Lügner oder Narren.
Oberst Longin unterbreitete die Aussage dem Feldherrn. Vespasian schnaufte. Er beobachtete seinen Gefangenen gut und witterte wohl, daß Dinge sehr persönlicher Art zwischen den beiden waren. Aber bis jetzt war er seinem klugen Juden auf keine einzige falsche Angabe gekommen. Im übrigen war dieser Doktor Justus ein typischer Literat und Philosoph und somit ungefährlich. Der Marschall schlug die Untersuchung nieder, stellte den Doktor Justus zur Verfügung seines Herrn, des Königs Agrippa.
König Agrippa war vor seinem vielgeprüften Sekretär höflich und schuldbewußt. Justus sah deutlich, wie unbequem er ihm war. Er grinste, er kannte die Menschen. Er erbot sich, für seinen Herrn nach Jerusalem zu gehen, dort die Rechte Agrippas wahrzunehmen, während des Winters, da die militärischen Handlungen stockten, für den Frieden zu wirken. Das war, da jetzt die »Rächer Israels« in Jerusalem schrankenlos herrschten, ein ebenso aussichtsloses wie gefährliches Unternehmen. Niemand erwartete, der Sekretär des Königs werde lebend zurückkommen. Justus reiste mit gefälschten Pässen. Josef stand an seinem Weg, als er aufbrach. Justus fuhr an ihm vorbei, blicklos wie bisher, schweigend.
In Cäsarea bei der großen Spätsommermesse sah Josef den Glasbläser Alexas aus Jerusalem, den Sohn des Nachum. Josef glaubte, er werde einen Bogen um ihn machen wie die meisten Juden. Aber siehe, Alexas kam auf ihn zu, er begrüßte ihn. Josefs Kette und der Große Bann hielten ihn nicht ab, mit ihm zu sprechen.
Alexas ging neben Josef her, stattlich und beleibt wie immer, aber seine Augen waren noch trüber und bekümmerter. Er hatte sich nur mit Gefahr
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