Der jüdische Krieg.
Minister, die auf Beendigung des Feldzugs drängten. Er für sein Teil begreife durchaus die Motive des Marschalls, aber anderseits erscheine ihm der Wunsch Roms so wichtig, daß er bereit sei, aus seinen eigenen syrischen Legionen Truppen abzugeben, falls nur Vespasian vor Jerusalem rücke. Der junge General Titus, begierig, seine soldatischen Qualitäten endlich zu zeigen, pflichtete stürmisch bei: »Tu es, Vater, tu es! Meine Offiziere brennen darauf, die ganze Armee brennt darauf, Jerusalem niederzuschlagen.«
Vespasian sah mit Vergnügen, wie in dem gescheiten, von Lüsten, Geldgier und Ehrgeiz verwüsteten Gesicht des Mucian ein großes Gefallen an seinem Sohn Titus aufstieg, gemischt aus ehrlicher Sympathie und Begierde. Der Marschall schmunzelte. Er hatte dem Sohn, sosehr er an ihm hing, von seinen wirklichen Motiven nichts gesagt. Im Innern war er überzeugt, der Junge wußte so gut darum wie dieser schlaue Mucian oder sein Jude Josef; aber er freute sich, daß Titus so stürmisch loslegte. Um so leichter fiel es ihm selber, seine persönlichen Argumente durch sachliche zu verdecken.
Später, als er mit Mucian allein war, zog dieser den Brief des Ministers Talaß heraus. Vespasian bekam geradezu Respekt vor seiner Zähigkeit. Der Mensch war ekelhaft, aber gescheit: man konnte offen mit ihm reden. Vespasian also winkte ab: »Lassen Sie nur, Exzellenz. Ich weiß, Sie wollen mir jetzt die Meinung irgendeines einflußreichen Kackers aus Rom versetzen, der Ihnen versichert, Rom gehe zugrunde, wenn ich nicht augenblicklich vor Jerusalem rücke.« Er schob sich näher an Mucian heran, blies ihm seinen starken Atem ins Gesicht, daß Mucians ganze Höflichkeit dazu gehörte, nicht zurückzuweichen, und sagte gemütlich: »Und wenn Sie mir noch zehn solcher Briefe zeigen, Verehrter, ich denke gar nicht daran.« Er richtete sich hoch, strich ächzend seinen gichtischen Arm, rückte ganz dicht neben den andern, sagte vertraulich: »Hören Sie einmal, Mucian, wir haben uns doch beide alle acht Winde um die Nase wehen lassen, wir brauchen einander nichts vorzumachen. Mir wird der Wein sauer, wenn ich Sie anschauen muß mit Ihrem zuckenden Gesicht und Ihrem Stock hinterm Rücken, und Sie werden seekrank, wenn Sie meinen lauten Atem hören und meine Haut riechen. Stimmt’s?« Mucian erwiderte verbindlich: »Bitte, fahren Sie fort.« Vespasian fuhr fort: »Nun sind wir aber einmal leider an die gleiche Deichsel gespannt. Es war ein verdammt schlauer Einfall der Majestät. Nur: sollten wir nicht ebenso schlau sein? Ein Dromedar und ein Büffel kommen schlecht miteinander aus an der gleichen Deichsel, Griechen und Juden kann man mit Erfolg gegeneinander ausspielen: aber zwei alte Eingeweide-Beschauer wie wir, was meinen Sie?« Mucian zwinkerte heftig und nervös. »Ich folge aufmerksam Ihren Gedankengängen, Konsul Vespasian«, sagte er. »Haben Sie Nachrichten aus dem Westen?« fragte jetzt unumwunden Vespasian, und seine hellen Augen ließen den andern nicht los. »Aus Gallien, meinen Sie?« fragte Mucian zurück. »Ich sehe, Sie sind im Bilde«, schmunzelte Vespasian. »Sie brauchen mir den Brief Ihres römischen Hintermannes wirklich nicht zu versetzen. Rom hat jetzt andere Sorgen.«
»Mit Ihren drei Legionen können Sie wenig ausrichten«, sagte unbehaglich Mucian. Er hatte den Stock beiseite gelegt, wischte sich mit dem Rücken der kleinen, gepflegten Hand den Schweiß von der Oberlippe. »Richtig«, konstatierte gemütlich Vespasian. »Darum schlage ich Ihnen ein Abkommen vor. Ihre vier syrischen Legionen sind miserabel, aber zusammen mit meinen drei guten sind es immerhin sieben. Halten wir unsere sieben Legionen zusammen, bis man im Westen klarer sieht.« Und da Mucian schwieg, redete er ihm vernünftig zu: »Bevor es im Westen klar wird, werden Sie mich doch nicht los. Seien Sie gescheit.« – »Ich danke Ihnen für Ihre offenen und konsequenten Darlegungen«, erwiderte Mucian.
Es waren angeblich seine wissenschaftlichen Interessen, die den Mucian in den nächsten Wochen in Judäa festhielten; denn er arbeitete an einem großen Werk, einer Darstellung der Geographie und Ethnographie des Imperiums, und Judäa stak voller Merkwürdigkeiten. Der junge Titus begleitete den Gouverneur auf seinen Exkursionen, sehr beflissen; oft stenographierte er mit, was die Eingeborenen zu erzählen hatten. Da war die Quelle von Jericho, die vor Zeiten nicht nur die Erd- und Baumfrüchte, sondern auch die
Weitere Kostenlose Bücher