Der jüdische Krieg.
wünschte er, er wäre in Jotapat mit den andern umgekommen.
Marcus Licinius Crassus Mucianus, Generalgouverneur von Syrien, lief nervös durch die weiten Räume seines Palais in Antiochia. Er war überzeugt gewesen, diesmal werde Vespasian keine Ausrede mehr finden, den Feldzug länger hinzuzögern. Nachdem der Terror der »Rächer Israels« die Gemäßigten in Jerusalem ausgemerzt hatte, wüteten die Meuterer unter sich. Bürgerkrieg war in Jerusalem, die Nachrichten waren klar und zuverlässig. Es war sinnlos, diese Chance ungenützt vorbeigehen zu lassen. Jetzt endlich mußte Vespasian vor die Stadt rücken, sie nehmen, den Krieg beenden. Mit brennen-der Spannung hatte Mucian den Bericht über den Kriegsrat erwartet, der jetzt zu Winterende die Richtlinien für die Frühjahrskampagne festlegen sollte. Nun lag er vor ihm, der Bericht. Die weitaus meisten Herren des Kriegsrats, selbst der Sohn des Vespasian, der junge General Titus, waren der Meinung gewesen, man müsse unverzüglich gegen Jerusalem marschieren. Aber der Spediteur, der unverschämte, plumpe Pferdeäpfelbauer, hatte einen neuen Dreh gefunden. Der innere Zwist der Juden, hatte er ausgeführt, werde die Stadt in absehbarer Zeit reif machen, mit sehr viel weniger Opfern genommen zu werden als jetzt. Jetzt vor Jerusalem zu marschieren hieße das Blut guter römischer Legionäre verschwenden, das man sparen könne. Er sei dafür, zuzuwarten, vornächst den bisher nicht besetzten Süden zu okkupieren. Er war schlau, dieser Vespasian. So filzig er war, mit Ausreden war er nicht filzig. Der würde sein Kommando nicht so bald abgeben.
Der schmächtige Mucian, den Stock hinterm Rücken, den hagern Kopf schräg vorgestreckt, lief wütend hin und her. Er war nicht mehr jung, er hatte die Fünfzig hinter sich, ein Leben voll von herrlichen, nie bereuten Lastern, voll von Studien über die nie erschöpfte Fülle der Merkwürdigkeiten der Natur, ein Leben voll von Macht und Absturz, von Reichtum und Niederbruch. Nun, gerade noch im Besitz seiner ganzen Kraft, war er Herr in diesem tief erregenden, uralten Asien geworden, und er kochte vor Wut, daß der abgefeimte junge Kaiser ihn den großartigen Bissen gerade mit diesem widerwärtigen Bauern teilen hieß. Fast ein ganzes Jahr hatte er den verschmitzten Spediteur als Gleichgestellten neben sich dulden müssen. Aber jetzt war es genug. Er durchschaute natürlich die Absichten des Marschalls ebensogut wie die des Kaisers. Der Bursche durfte ihm nicht länger im Weg stehen. Er mußte fort aus seinem Asien, er mußte, mußte! mit diesem läppischen Judenkrieg endlich Schluß machen.
In Eile und großem Zorn diktierte Mucian ein ganzes Bündel von Briefen, an den Kaiser, an die Minister, an befreundete Senatoren. Es sei unverständlich, warum der Feldherr auch zu Beginn dieses Sommers nach soviel Vorbereitungen und nachdem der Gegner durch innere Zwistigkeiten geschwächt sei, die Stadt Jerusalem noch immer nicht für sturmreif halte. Er wolle nicht bittere Meditationen darüber anstellen, wie sehr diese wenig energische Kriegführung die Pläne des Alexanderzugs gefährdet habe. Aber so viel sei gewiß, daß, wenn die Strategie des Zögerns fortgesetzt werde, das Prestige des Kaisers, des Senats und der Armee im ganzen Osten auf dem Spiel stehe.
Der Zeitpunkt, zu dem diese Briefe in Rom eintrafen, war für die Absichten des Mucian recht ungünstig. Die Westprovinzen hatten nämlich soeben viel wichtigere und unangenehmere Dinge gemeldet. Der Gouverneur von Lyon, ein gewisser Vindex, meuterte, er schien die Sympathien ganz Galliens und Spaniens zu haben. Die Depeschen klangen bedenklich. Wirkliche, volle Anteilnahme fand unter diesen Umständen der Bericht des Mucian nur an einer einzigen Stelle, bei dem Minister Talaß. Der alte Herr hielt es für einen ihm persönlich angetanen Tort des Generals Vespasian, daß der die Zerstörung Jerusalems so lange hinauszögerte. Er antwortete dem Mucian verständnisvoll, von ganzem Herzen zustimmend.
Der Generalgouverneur, diese Antwort in Händen, beschloß, den Spediteur selber zu stellen, fuhr ins Hauptquartier Vespasians nach Cäsarea.
Der Marschall empfing ihn schmunzelnd, sichtlich erfreut. Man lag bei Tische, zu dreien, Vespasian, Titus, Mucian, unter herzlichen Gesprächen. Langsam, beim Nachtisch, glitt man ins Politische. Mucian betonte, wie fern es ihm liege, sich in die Dinge des andern zu mengen; es sei Rom, es seien die römischen
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