Der jüdische Krieg.
Leibesfrucht der Weiber vernichtet und überhaupt allem Lebendigen Tod und Verderben gebracht hatte, bis sie ein gewisser Prophet Elysseus durch Gottesfurcht und Priesterkunst entsühnte, so daß sie jetzt das Gegenteil bewirkte. Auch den Asphaltsee besichtigte Mucian, das Tote Meer, das selbst die schwersten Gegenstände trägt und sie sogleich wieder hochspült, wenn man sie mit Gewalt hineintaucht. Mucian ließ sich das vorführen, ließ Personen, die des Schwimmens unkundig waren, mit auf dem Rücken gebundenen Händen in die Tiefe werfen und schaute mit Interesse zu, wie sie auf der Oberfläche herumtrieben. Dann bereiste er die sodomitischen Gefilde, suchte die Spuren des vom Himmel gesandten Feuers, sah im See die schattenhaften Umrisse von fünf untergegangenen Städten, pflückte Früchte, an Farbe und Gestalt eßbaren ähnlich, die aber noch während des Pflückens zu Staub und Asche zerplatzten.
Er stellte Fragen über alles, er war sehr wißbegierig, notierte und ließ notieren. Eines Tages fand er solche Notizen niedergeschrieben in seiner eigenen Handschrift, trotzdem er genau wußte, er hatte diese Notizen nicht gemacht. Es stellte sich heraus, daß sie von Titus stammten. Ja, der junge Herr hatte die Fähigkeit, sich rasch und so tief in die Handschrift anderer einzuleben, daß diese andern seine Nachahmung von ihrer eigenen Schrift nicht unterscheiden konnten. Mucian, nachdenklich, bat den Titus, ihm einige Zeilen in der Schrift seines Vaters zu schreiben. Titus tat es, und es war wirklich unmöglich, diese Zeilen als Nachahmung zu erkennen. Aber das Merkwürdigste, was Mucian in diesen judäischen Wochen sah und erlebte, blieb der kriegsgefangene gelehrte General Josef Ben Matthias. Schon am ersten Tag in Cäsarea war dem Gouverneur der gefangene Jude aufgefallen, wie er bescheiden und dennoch überaus sichtbar mit seiner Kette in den Straßen Cäsareas herumlief. Vespasian hatte seine Fragen sonderbar beiläufig weggewischt. Aber er konnte nicht verhindern, daß sich der neugierige Mucian trotzdem eingehend mit diesem Priester Josef unterhielt. Er tat das oft; er merkte bald, daß Vespasian seinen Gefangenen als eine Art Orakel verwandte, nach dessen Aussprüchen er sich in Zweifelsfällen richtete, ohne natürlich den Gefangenen diese seine Bedeutung merken zu lassen. Den Mucian beschäftigte das; denn er hielt den Marschall für einen wassernüchternen Rationalisten. Er sprach mit Josef über alle möglichen Dinge zwischen Himmel und Erde und staunte immer wieder, wie seltsam östliche Weisheit das griechische Weltwissen des Juden veränderte. Er kannte Priester aller Art, Priester des Mithras und des Aumu, barbarische Priester der englischen Sulis und der deutschen Rosmerta: dieser Priester des Jahve, so wenig er sich äußerlich von einem Römer unterschied, lockte ihn mehr als die andern.
Bei alledem versäumte er nicht, seine Beziehungen zu dem Marschall nach Möglichkeit zu klären. Vespasian hatte recht: solange nicht im Westen und in Rom helle Sicht geschaffen war, hatten die beiden Herren des Ostens, der Gouverneur von Syrien und der Oberstkommandierende in Judäa, die genau gleichen Interessen. Vespasian, mit seiner rüden Offenheit, legte fest, wie weit diese Interessengemeinschaft sich in der Praxis auswirken sollte. Keiner wird ohne Zustimmung des andern wichtige politische oder militärische Handlungen vornehmen; in ihren offiziellen Berichten nach Rom aber werden sie wie bisher gegeneinander intrigieren, jetzt freilich auf eine genau vereinbarte Art.
Der nicht sehr freigebige Vespasian hatte Angst, was der verschwenderische und habgierige Gouverneur sich als Gastgeschenk für die Rückreise ausbitten würde. Mucian verlangte ein einziges: den kriegsgefangenen Juden Josef. Der Marschall, zuerst überrascht von soviel Bescheidenheit, wollte schon ja sagen. Aber dann überlegte er sich’s anders; nein, er gab seinen Juden nicht weg. »Sie wissen doch«, lachte er gemütlich zu Mucian, »der Spediteur ist geizig.«
So viel wenigstens erreichte der Gouverneur, daß Vespasian ihm den Titus auf einige Zeit zu Besuch nach Antiochia mitgab. Der Marschall hatte sogleich durchschaut, daß Titus eine Art Geisel dafür sein sollte, daß Vespasian die getroffenen Vereinbarungen auch einhalte. Aber das kränkte ihn nicht. Er gab Mucian das Geleite bis zum Schiff nach Antiochia. Mucian, sich verabschiedend, sagte in seiner höflichen Art: »Ihr Sohn Titus, Konsul Vespasian, hat
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