Der jüdische Krieg.
gestanden vor den Unbeschnittenen, die Römer hatten sich an ihrer Nacktheit ergötzt. Warum hat sie Jahve nicht vorher sterben lassen? Still klagte sie mit ihrer dunkeln Stimme, demütig kamen die Worte aus ihrem üppigen Mund, jung, süß und reif saß sie vor Josef. Ihr Weinberg blüht, dachte er. Er spürte plötzlich ein großes Verlangen, die Knie wurden ihm schwach, es war wie damals, als er in der Höhle von Jotapat lag. Er sah das Mädchen an, sie wandte ihre langen, dringlichen Augen nicht ab von seinem Blick, ihr Mund öffnete sich halb, ihr guter, frischer Atem kam herüber zu ihm, er begehrte sie sehr. Sie fuhr fort: »Was soll ich tun, mein Doktor und Herr? Es ist ein großer Trost, eine große Gnade, daß Gott mich Ihre Stimme hören läßt.« Und sie lächelte.
Dies Lächeln machte, daß in Josef eine wilde, grenzenlose Wut gegen den Römer aufstieg. Er riß an seinen Fesseln, fügte sich, riß, fügte sich. Er mußte selber mithelfen, diese da dem gefräßigen Römer hinzuwerfen, dem Tier.
Mara erhob sich plötzlich. Immer lächelnd, leichtfüßig, in den geflochtenen, parfümierten Sandalen, ging sie auf und ab. »Am Sabbat habe ich immer parfümierte Sandalen getragen. Es ist ein Verdienst und wird einem von Gott angerechnet, wenn man sich am Sabbat gut anzieht. War es richtig, daß ich von dem Römer parfümierte Sandalen verlangte?« Josef sagte: »Hör zu, Mara, Tochter des Lakisch, Jungfrau, mein Mädchen«, und vorsichtig suchte er ihr zu erklären, daß sie beide, er und sie, zum gleichen Zweck von Gott zu diesem Römer geschickt seien. Er sprach mit ihr von dem Mädchen Esther, das Gott zu dem König Ahasver gesandt habe, um ihr Volk zu retten, und von dem Mädchen Irene vor dem König Ptolemäus. »Es ist deine Aufgabe, Mara, daß du dem Römer gefällst.« Aber Mara fürchtete sich. Der Unbeschnittene, der Frevler, der im Tale Hinom gerichtet werden wird, der alte Mann, ihr ekelte, ihr grauste. Josef, Wut im Herzen gegen sich und gegen den andern, sprach ihr zu mit behutsamen, zärtlichen Worten, bereitete dies Gericht für den Römer.
Vespasian, am andern Morgen, schilderte derb und offen, wie es mit Mara gewesen war. Ein wenig Angst und Scham waren ihm ganz recht; aber diese da hatte am ganzen Leib gezittert, geradezu ohnmächtig war sie gewesen, hinterher war sie eine lange Zeit starr und steif gelegen. Er sei ein alter Herr, leicht rheumatisch, sie sei für ihn zu anstrengend. »Sie scheint«, meinte er, »randvoll von abergläubischen Vorstellungen: wenn ich sie anrühre, fressen sie die Dämonen oder dergleichen. Du mußt das ja besser wissen, mein Jüdlein. Hör einmal, mach du sie mir zahm. Willst du? Übrigens, was heißt auf aramäisch: sei zärtlich, mein Mädchen, sei nicht dumm, meine Taube, oder so was?«
Mara, als Josef sie wiedersah, war in Wahrheit starr und zugesperrt. Die Worte kamen mechanisch aus ihrem Mund, sie war wie eine geschminkte Tote. Als Josef sich ihr nähern wollte, wich sie zurück und schrie gleich einer Aussätzigen hilflos und entsetzt: »Unrein! Unrein!«
Bevor der Sommer auf seiner Höhe war, kamen große Nachrichten aus Rom. Der Aufstand im Westen war geglückt, der Senat hatte den Kaiser abgesetzt, Nero, der fünfte Augustus, hatte sich selber getötet, nicht unwürdig, seiner Umgebung ein großes Schauspiel bietend. Herren der Welt jetzt waren die Führer der Armeen. Vespasian lächelte. Er war ein unpathetischer Mann, aber er reckte sich höher. Es war gut, daß er seiner innern Stimme gefolgt war und den Feldzug nicht so rasch beendet hatte. Er hatte drei starke Legionen jetzt, mit denen des Mucian sieben. Er packte Cänis an den Schultern, er sagte: »Nero ist tot. Mein Jude ist kein Dummkopf, Cänis.« Sie schauten sich an, ihre schweren Leiber schaukelten hin und her, leise, gleichmäßig, beide lächelten.
Josef, als er die Nachricht vom Tode des Kaisers Nero hörte, stand ganz langsam auf. Er war ein noch junger Mann, einunddreißig Jahre war er alt, und er hatte mehr Auf und Ab erlebt als gemeinhin ein Mensch mit einunddreißig Jahren. Jetzt stand er, atmete, griff sich nach der Brust, den Mund leicht offen. Er hatte vertraut darauf, daß Jahve in ihm sei, er hatte ein sehr hohes Spiel gespielt, er hatte es nicht verloren. Mühsam mit der gefesselten Hand setzte er den Priesterhut auf, sprach den Segensspruch: »Gelobt seist du, Jahve, unser Gott, der du uns hast erleben und erreichen und erlangen lassen diesen
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