- Der Jünger des Teufels
mir ganz sicher, dass die Polizei nach mir Ausschau
hielt. Vermutlich blieb mir nur eine knappe Stunde, um einen Weg aus diesem
Chaos zu finden, oder ich war erledigt, sobald ich die Abflughalle betrat.
83.
Alexandria,
Virginia
Lou Raines warf das Telefon auf seinen
Nachttisch und stieg aus dem Bett. Er zog einen Morgenrock an und stapfte mit
einem wütenden Seufzer zum Schlafzimmerfenster. Seine Frau war bei ihrer
Tochter in Baltimore, und das war angesichts seiner miesen Laune auch gut so.
Es regnete wie aus Eimern. In Washington tobte ein
Unwetter. Am Himmel zuckten Blitze, und Regenwasser strömte über die Scheibe.
Unzählige Fragen, auf die er Antworten suchen musste, quälten Lou, doch nach
dem Telefonat, das er gerade geführt hatte, stand eine Frage im Vordergrund: Was
war mit Kate los?
Dies war Lous erster freier Samstagmorgen seit drei Wochen,
und er hasste es, zu Hause gestört zu werden, doch Ahmet Uzun hatte ihn in
einer äußerst dringenden Angelegenheit angerufen. Das Telefonat beunruhigte Lou
sehr. In Istanbul waren drei weitere Menschen ermordet worden: Constantine
Gemals Schwester Yeliz sowie zwei Wachmänner. Alle drei waren im Versunkenen Palast
getötet worden. Yeliz’ Ermordung wies Gemals Handschrift auf: Der Tatort war
ein dunkles, unterirdisches Gewölbe, die Mordwaffe eine Klinge.
Ein Blitz erhellte das Fenster. Lou knirschte mit den
Zähnen und schüttelte heftig den Kopf, als er auf die Lichtshow der Natur
blickte.
Fast ein Dutzend Mal hatte er versucht, Kate auf ihrem Handy
zu erreichen, ehe er schließlich aufgegeben und sein Te lefon wütend auf den
Schrank geknallt hatte. Nur die Mailbox ihres Handys war eingeschaltet. Da er
keine Verbindung zu Kate herstellen und nicht persönlich mit ihr sprechen
konnte, konnte er sich auch kein Bild davon machen, was in Istanbul vorgefallen
war. Nach Inspektor Uzuns Worten war Kate von der Bildfläche verschwunden.
Zeugen hatte eine Frau gesehen, die aus dem Versunkenen Palast geflohen war.
Lou überlegte, ob Kate geflohen sein könnte, weil sie
bedroht wurde. Doch Uzun behauptete, die Zeugen hätten gesehen, dass sie die
Hauptstraße hinuntergelaufen war, ohne dass jemand sie verfolgt hätte.
Irgendetwas ergibt hier keinen Sinn, ging es Lou durch den Kopf. Kate benimmt
sich sehr seltsam, seitdem diese ganze Scheiße angefangen hat.
Lou erinnerte sich, dass sie sogar davon gesprochen hatte, Gemal
könne die Hinrichtung überlebt haben. Verrückt. Ein Hingerichteter kehrte nicht
von den Toten zurück. Also musste ein Nachahmer die Morde verübt haben. Basta.
Aber wer und warum? Und
jetzt drängte sich Lou die interessante Frage auf, die sich einige Leute
vielleicht stellten: Warum hatte Kate das rätselhafte Talent, an fast allen
Orten aufzutauchen, an denen ein Mord verübt wurde?
Als Lou seinen Pyjama aufs Bett warf und sich anzog, um ins
Büro zu fahren, quälte ihn noch etwas anderes. Kate hatte sich seinem
ausdrücklichen Befehl widersetzt und war nach Istanbul geflogen. Es ging Lou
ganz gehörig gegen den Strich, wenn seine Leute seinen Befehlen nicht Folge
leisteten. Disziplin war das Fundament erfolgreicher Arbeit. Er erwartete, dass
seine Leute seinen Anweisungen Folge leisteten, sonst war die Hölle los.
Er seufzte wieder. Was hast du getan, Kate? Und warum bist du
verschwunden? Die Leute glauben allmählich, du wärst in diese Morde verstrickt
…
Lou konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, dass
Kate mit den Morden zu tun hatte. Doch irgendwie hatte er das Gefühl, Stone würde
es für ihn herausfinden.
84.
Istanbul,
Türkei
Als ich im Bus zum Flughafen fuhr, hörte ich
heulende Sirenen und sah mehrere Streifenwagen, die uns überholten. Ich
rutschte auf meinem Sitz nach unten, als die Streifenwagen an uns vorbeifuhren
und zum Flughafen jagten. Als ich Inspektor Uzun in einem der Wagen auf der
Rückbank sitzen sah, erschrak ich heftig. Uzun sprach aufgeregt in sein Handy
und sah gar nicht erfreut aus.
Verdammt.
Jäh erkannte ich, dass ich keine Fluchtmöglichkeit hatte, selbst
wenn ich den Flughafen erreichte. Falls Uzun mich dort identifizierte, war ich
erledigt. Offenbar geriet ich von einer Zwangslage in die nächste, ohne einen
Ausweg aus der Misere zu finden.
Ich rechnete beinahe damit, in eine Polizeisperre zu
geraten, bevor ich den Flughafen erreichte, doch zehn Minuten später fuhr der
Bus eine ansteigende Straße hinauf und hielt vor dem Abflugterminal. Die
Fahrgäste stiegen aus, doch ich blieb auf
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