- Der Jünger des Teufels
ausgerutscht. Sekunden später hörte ich wieder Schritte, die sich nun langsamer näherten. Der
Killer stieg weiter die Treppe hinauf.
O Gott.
Ich steckte den nächsten Schlüssel ins Schloss, doch er
passte nicht.
Als ich den letzten Schlüssel probierte, sprang das Schloss
auf. Ich hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgeschrien. Meine Hände
zitterten, als ich gegen das Metallgitter schlug und es aufriss. Verkehrslärm
drang mir entgegen. Sekunden später hörte ich wieder Schritte auf den
Marmorstufen. Ich stürzte auf die belebte Straße.
82.
Wie eine Besessene rannte ich davon. Neugierige
Passanten starrten mich an. Dann wurde mir bewusst, wie dumm es war, von einem
Tatort zu fliehen. Wenn ich mich wie eine Kriminelle benahm, zog ich
zwangsläufig die Aufmerksamkeit der Leute auf mich.
Ich verlangsamte meine Schritte und tat so, als würde ich
mir Schaufenster ansehen. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich wieder zu Atem
kam, doch die Erleichterung währte nicht lange. Vermutlich hatte Gemal sich
verkleidet und sich irgendwo in der Menge hinter mir versteckt.
Ich warf immer wieder Blicke über die Schulter, doch es
waren so viele Menschen auf der Straße, dass es für einen Killer ein Leichtes
wäre, mir in einem günstigen Augenblick ein Messer zwischen die Rippen zu
stoßen. Auf der Suche nach jemandem, der Gemal ähnelte, ließ ich den Blick über
die Gesichter in der Menge schweifen. Ich bekam einen regelrechten Schock, als
ich einen dunkelhaarigen Mann mit Sonnenbrille und einem Rucksack sah, der zehn
Meter hinter mir ging. Er hatte Gemals Größe und Statur. Der Mann wich meinem
Blick aus und starrte in ein Schaufenster. War es Gemal, oder wurde
ich allmählich verrückt?
Es gab nur eine Möglichkeit, Gewissheit zu erlangen, ob
Gemal noch lebte oder tot war: Ich musste seinen Sarg öffnen lassen. Je
schneller, desto besser. Aber zuerst musste ich nach Hause fliegen.
Kurz darauf hörte ich die heulenden Sirenen der
Streifenwagen. Waren Inspektor Uzuns Beamte auf dem Weg zum Versunkenen Palast,
um mich zu suchen und zu verhaften, wie Lou es verlangt hatte? Würden sie mir
glauben, oder würde ich in noch größere Schwierigkeiten geraten, wenn ich
zurückging und ihnen sagte, was geschehen war? Das Risiko war mir zu groß. Im Augenblick
fühlte ich mich in der Menge sicherer. Ich sah eine Gasse, die zu einem
Marktplatz führte. Auf einem Schild über dem Torbogen stand in goldenen
Buchstaben: Kapali Carsisi. Ich erinnerte mich, in meinem Reiseführer
etwas über Istanbuls berühmten großen Basar gelesen zu haben, den es schon seit
dem 15. Jahrhundert gab. Ich lief unter dem Torbogen hindurch und betrat den
Basar.
In den überfüllten Gässchen des Marktes mit den unzähligen winzigen
Geschäften herrschte reges Treiben. Die Luft roch nach exotischen Parfums und
Gewürzen. Ich drang tiefer in die Gassen ein und schaute mir den Basar genauer
an. Hier konnte man alles kaufen, was das Herz begehrte: funkelnde Juwelen,
Lebensmittel aller Art, Lederwaren und bunte Stoffe, die auf Ballen angeboten
wurden. Händler, die zum Teil traditionelle Gewänder trugen und Gebetsketten in
Händen hielten, beugten sich über Silbertabletts mit Tee oder Kaffee und
versuchten, Kunden in ihre Läden zu locken.
Ich dachte wieder an die Zwangslage, in der ich mich
befand.
Ich war unschuldig und fürchtete mich deshalb nicht davor,
mit der türkischen Polizei zu kooperieren. Doch wenn ich mich freiwillig
stellte, würde ich in ihre Ermittlungen hineingezogen und vielleicht wochenlang
in Istanbul festgehalten werden, bis ich Ordnung in das Chaos gebracht hatte – falls
mir dies gelang: Schlimmstenfalls könnte ich sogar wegen Mordes an Yeliz und den
Wachmännern angeklagt werden. Es war nicht so, als hätte ich kein Vertrauen zu
Inspektor Uzun gehabt, doch mein Instinkt riet mir, schnellstens aus Istanbul
zu verschwinden. Ich fühlte mich in Gemals Heimatland nicht sicher, und Yeliz’
Tod bewies, dass ich hier nicht sicher war. Wenn ich wegrannte, machte ich mich
verdächtig, doch meine Intuition sagte mir, dass ich dann wenigstens am Leben
blieb. Außerdem wollte ich den verdammten Sarg öffnen.
Zuerst musste ich irgendwie zum Flughafen gelangen. Ein öffentliches
Verkehrsmittel war sicherer als ein Taxi. Ich blätterte in den letzten Seiten
meines Stadtführers: Es gab einen Shuttlebus zum Flughafen; der Karte zufolge
war die Haltestelle keine zehn Gehminuten entfernt.
Die Enge des Basars löste erneut
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