- Der Jünger des Teufels
eingebildet?
Und dann klingelte das Telefon im Atelier.
46.
Diesmal war ich hellwach. Diesmal überraschte
mich der Anrufer nicht im Halbschlaf. Ich war bereit. Das Telefon klingelte
bestimmt ein halbes Dutzend Mal, ehe ich meine Angst besiegen konnte und nach
dem Hörer griff. Ich hob ihn langsam ans Ohr und hörte das leise Rauschen
statischer Stille.
Keine Stimmen. Nichts.
Lauschte am anderen Ende der Leitung jemand? Legte jemand es
darauf an, mich in den Wahnsinn zu treiben? Augenblicke später meldete sich
eine so laute Stimme, dass mein Herzschlag aussetzte. »Kate? Sind Sie da?«
Ich zuckte zusammen. Es war Lou Raines. Ich war so
ungeheuer erleichtert, seine Stimme zu hören, dass ich beinahe geweint hätte. »Lou
…«
Offenbar war ihm die Panik in meiner Stimme nicht
entgangen, denn er fragte besorgt: »Ist alles in Ordnung?«
»Ja … alles in Ordnung.« Tränen traten mir in die Augen;
ich stand am Rande eines Zusammenbruchs. Am liebsten hätte ich Lou von dem
Anruf erzählt, doch ich sagte mir: Wenn er dir nicht glaubt, stehst du wie eine
Närrin da. Ich hatte für den Anruf keine logische Erklärung.
»Sind Sie noch dran, Kate?«
»Ja … ja, ich bin da.«
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ich hatte fest geschlafen. Ihr Anruf mitten in der Nacht
hat mich geweckt. Was ist los, Lou?«
»Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe, aber es gibt wichtige
Neuigkeiten, die keinen Aufschub dulden.«
»Scheint eine ernste Sache zu sein.«
Lou atmete tief ein und seufzte dann laut. »Bob Dixon hat mich
vor ein paar Minuten angerufen. Er hat noch gearbeitet.«
Bob Dixon, »der Pfeifer«, gehörte zu unserem Team und konnte
auf fünfundzwanzig Dienstjahre zurückblicken. Er arbeitete gern nachts, wobei
er dann wie ein glücklicher Kanarienvogel pfiff. Es kursierte das Gerücht, er
und seine sexsüchtige Frau hätten schon seit Jahren nicht mehr miteinander
geschlafen, und Bob sei darum so vergnügt. »Ich höre.«
»Gegen halb vier hat er ein interessantes Telegramm von einem
alten Freund von uns erhalten. Sie erinnern sich bestimmt an Inspektor Maurice Delon aus Paris.
Es scheint, als hätte die französische Sureté es mit einem neuen Mordfall zu tun. Bei den Opfern
handelt es sich um zwei amerikanische Touristen, Vater und Tochter. Ihre
verstümmelten Leichen wurden vor vierzehn Stunden in der Pariser Kanalisation
gefunden, nachdem ein anonymer Anrufer behauptete, die Toten entdeckt zu haben. Delon bittet
um unsere Mithilfe, um die Identität der Opfer zu bestätigen. Außerdem wies er
auf die zahlreichen Parallelen zwischen diesen Mordfällen und denen hin, die
Gemal vor fünf Jahren in den Pariser Katakomben verübt hat.«
Mir waren die Details des Falles, von dem Lou sprach,
bekannt. Gemal hatte an einer internationalen Psychiater-Konferenz in Paris
teilgenommen, als er damals die Morde verübt hatte. Wo konnte er seine
teuflische Mordgier besser befriedigen als in den alten Pariser Katakomben? Er
hatte einen amerikanischen Touristen und dessen siebzehnjährige Tochter
entführt und getötet und sie in den Katakomben abgelegt, die unter den Pariser
Straßen ein riesiges Tunnelsystem bildeten. Die Opfer waren durch eine DNA-Analyse
identifiziert worden. Inspektor Delon hatte die Ermittlungen geleitet. Der Fall konnte erst
gelöst werden, nachdem wir Gemal in Amerika geschnappt hatten.
»Weiter«, sagte ich und spürte, wie mein Puls schneller
ging.
»Delon zufolge
weisen die Mordfälle die typischen Kennzeichen der Gemal-Morde auf: Die Leichen
wurden zerstückelt und anschließend angezündet. Es wurde sogar ein Kreuz am
Tatort gefunden. Delon war mehr als verwundert. Und ich bin es auch.«
Ich war wie gelähmt. Lou seufzte wieder. »Es hört sich
alles so verdammt vertraut an, Kate. Es ist merkwürdig. Darum möchte ich, dass
wir uns das ansehen.«
»Sie meinen, nach Paris fliegen?«
»Ja, Sie und Cooper. Es ist besser, wenn Sie und Stone sich
vorerst aus dem Weg gehen. Er hat eine Stinkwut auf Sie.«
»Weiß Cooper schon Bescheid?«
»Ich habe ihn vor fünf Minuten angerufen.«
»Wann geht unser Flieger?«
»Wir haben für Sie beide Plätze auf einem Air-France-Flug gebucht.
Die Maschine startet am Baltimore International um halb sieben. Sie sollten also
packen.«
DRITTER Teil
47.
Washington, D.C.
Special Agent Gus Norton wischte mit seinem
Ärmel über die beschlagene Windschutzscheibe. Er saß auf dem Beifahrersitz des Taurus,
der in Richtung Rockville fuhr, und spähte zu
Weitere Kostenlose Bücher