Der Jünger
geplant hatte, war der heutige Tag zu einem Albtraum geworden.
Und er fühlte sich so schlecht, so verzweifelt und dem Ende verdammt nah.
Er begann, schwerfällig den langen Gang von einem Ende des Lagerhauses zum anderen zu schlurfen. Es war noch längst keine Schlafenszeit, aber Jay wollte sich nur ins Bett legen, die Augen schließen und nie wieder aufwachen. Doch die Angst vor der Hölle hielt ihn am Leben. Er brauchte Gottes Anerkennung, aber es wurde immer schwerer und schwerer, herauszufinden, wie er das erreichen konnte. Sein Zweifel daran, den falschen Weg eingeschlagen zu haben, wuchs stetig.
Schweißnass von der Anstrengung des Weges, erreichte er seinen Raum. Er sah nach seinem Taxi, fragte sich, ob er das Eingangstor verschlossen hatte, dann entschied er, dass es egal war, taumelte in sein Zimmer und machte die Tür zu.
Erinnerungen an die sauberen Laken und die Annehmlichkeiten des Motelzimmers gingen ihm durch den Kopf, als er sich auf die Matratze fallen ließ und sich ausstreckte. Das Bettzeug war schmutzig und der Boden voller Rattendreck. Einst hatte er bessere Zeiten erlebt. Doch die hatte er freiwillig aufgegeben, um zu beweisen, dass er es wert war, in den Himmel zu kommen.
Warum hatte es nicht funktioniert?
Was war schiefgelaufen?
Was hatte er falsch gemacht?
Er verstand es nicht.
Er verstand überhaupt nichts mehr.
Seine Mission war göttlich.
Wann hatte sich der Teufel da eingemischt?
Mutter Mary Theresas Gebete waren erhört worden. Ihr Kopf schmerzte noch immer von dem Schlag gegen die Wand, auch befand sie sich immer noch in den Händen dieses Wahnsinnigen, doch sie fürchtete sich nicht mehr. Ihr Glauben verlieh ihr Mut und Kraft: den Mut, ihre Furcht zu überwinden, und die Kraft, sich gegen ihr Schicksal zu wehren.
Bevor sie ihr Leben Gott gewidmet hatte, war sie ein Mädchen aus der Bronx gewesen. Und dieses Mädchen hätte nicht die Arme hochgeworfen und aufgegeben.
Sie lief im Raum umher, überprüfte die Ecken, schätzte die Höhe des einzigen Fensters ab und suchte nach einem Gegenstand, den sie als Waffe benutzen konnte. Sie wusste, dass sie – den christlichen Geboten zufolge – eigentlich auch noch ihre andere Wange “hinhalten” musste. Aber es konnte nicht in Gottes Sinn sein, das eigene christliche Leben einfach wegzuwerfen und kampflos aufzugeben.
Mutter Mary T. fand keine brauchbare Waffe. Noch schlimmer, sie fühlte sich schwach und zittrig, und ihr Fieber war mittlerweile auf bedenkliche Höhe gestiegen.
Die transportable Toilette hatte sie bereits gefunden, ebenso eine Wasserflasche und Cracker. Sie wusste nicht, welche Absichten dieser Mann hegte, doch es war offensichtlich, dass er dies alles vorher geplant hatte. Ermattet taumelte sie zurück zu ihrer Matratze.
Sie glaubte, Schreie und Gekreische in der Ferne zu hören, wusste aber: Was immer auch geschah, sie konnte nichts daran ändern. Sie rollte sich auf die Seite und verlor ihr Bewusstsein.
Tom Gerlich war kein Mann, der leicht in Panik geriet. Aber jetzt war er so weit. Einer der Männer war tot. Das wusste er mit Sicherheit. Es war irgendwann nach Sonnenuntergang passiert. Doch er hatte beschlossen, seine Befürchtung für sich zu behalten. Während seiner Jahre in Vietnam hatte er mehr als einmal das Röcheln eines Sterbenden gehört. Der Tod hatte seine eigene Akustik. Tom wusste, dass es für viele unglaubwürdig klang, aber er hatte schon immer die Gabe besessen, zu erkennen, wann eine Seele ihren Körper verlassen hatte. Er spürte diese Leere, die er mit Worten einfach nicht erklären konnte.
Und dann waren da immer noch die verdammten Ratten. Sie wurden von Tag zu Tag mutiger. Sie nutzten das reichhaltige Nahrungsangebot, das ihnen der tote Körper plötzlich bot, ohne dass sie irgendjemand daran hindern konnte. Tom dachte erst daran, die anderen zu wecken. Wenn sie genug Krach machten und mit den Fesseln rasselten, könnten sie die Tiere vielleicht verscheuchen.
Doch dann sagte er sich, dass es nicht mehr wichtig war. Wen immer auch der Tod ereilt hatte, der konnte sich glücklich schätzen, weil er dieser Hölle entkommen war.
19. KAPITEL
C aptain Borger stand seit dem Tod von Bart Scofield unter Dauerbeschuss. Wenn ein Fall dringend und vor allem zügig aufgeklärt werden musste, dann dieser! Sonst würde es ihm an den Kragen gehen – das wusste Borger. Daher war niemand über das Aufdecken der Identität des Tatverdächtigen erfreuter als er. Doch es gab noch immer ein
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