Der Jünger
großes Problem Er wusste nicht, wo er ihn finden konnte.
January hatte die ganze Nacht nichts von Ben gehört. Sie war neben dem Telefon eingeschlafen und wachte voller Angst auf, als ihr klar wurde, dass sich die ganze Zeit über niemand gemeldet hatte. Sie rollte sich herum und griff nach dem Hörer, als es endlich klingelte.
“Hallo?”
“Ich bin es”, meldete sich Ben. “Habe ich dich geweckt?”
“Nein. Ich wollte gerade aufstehen. Warum rufst du an? Habt ihr was über Carpenter herausgefunden?”
“Er hat ein Strafregister.”
“Weshalb?”
Ben seufzte. Er war die ganze Nacht auf gewesen, um Spuren zu verfolgen, die zu nichts geführt hatten. Jetzt fühlte er sich müde und frustriert, weil sie immer noch nicht wussten, wo sie Carpenter finden konnten.
“Eine Jugendstrafe. Danach ein paar Festnahmen wegen bewaffneten Raubüberfalls und Vergewaltigung. Verhaftet wegen Organisation eines Prostitutionsrings. Verhaftet wegen Brandstiftung, aber keine Verurteilung, und die Liste geht weiter. Kurz gesagt, über ihn ist so ziemlich alles dokumentiert – außer einer festen Wohnadresse.”
“Oh Gott”, flüsterte January. “Die arme Mutter Mary T.”
Die Bilder, die ihr nach diesem Bericht durch den Kopf gingen, machten sie ganz krank. Am liebsten hätte sie sich wieder im Bett verkrochen und versteckt, bis das alles vorbei war, doch das würde nicht geschehen. Sie musste sich auf die Fakten konzentrieren.
“Es gibt also keinen registrierten Wohnsitz von ihm?”
“Rick und ich haben die ganze Nacht hindurch alle eingetragenen Adressen und den Bekanntenkreis überprüft, und die Antwort ist nein. Sein letzter Wohnsitz, den wir finden konnten, ist mehr als zwei Jahre alt. Niemand, der ihn kannte, hat ihn gesehen, nachdem er in die Klinik gekommen ist.”
“Dann war er tatsächlich im Krankenhaus?”
“Ja, fast einen Monat, und danach noch drei Wochen in der Psychiatrie.”
In der Psychiatrie? Das klang nicht gut.
“Hat die Krankenakte bestätigt, dass er wiederbelebt wurde?”, fragte sie.
“Ja.”
“Verdammt”, murmelte January. “Dann stimmt das mit seiner Todeserfahrung.”
“Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das können wir nicht beweisen. Was die Ärzte dokumentiert haben, war, dass er nach seiner Reanimation einen totalen Nervenzusammenbruch hatte. Danach wurde er in die Psychiatrie eingeliefert. Es dauerte drei Wochen, bis er sich so weit wieder beruhigt hatte, dass sie ihn entlassen konnten.”
“Was hatte er denn?”, wollte January wissen.
Ben blätterte seine Notizen durch. “Hm, mal sehen, ich hab's hier irgendwo … Ach ja, da ist es. Oh … Ein Tumor an der Hirnanhangdrüse. Der größte Teil davon wurde entfernt. Prognose: nicht geheilt, nur leichte Remission.”
January runzelte die Stirn. “Remission? Dann lassen seine Krankheitserscheinungen also nur vorübergehend nach. Hirnanhangdrüse? Besteht da nicht die Möglichkeit einer Psychose, wenn die Hirnanhangdrüse betroffen ist?”
“Davon habe ich keine Ahnung.”
“Ich muss es noch mal nachlesen, aber ich glaube, es stimmt”, murmelte sie. “Und wenn ja, würde das sein irrationales Benehmen erklären … Dass er meint, er könne mit diesem Verhalten sein Schicksal lenken.”
“Das ist alles, was wir an Fakten herausfinden konnten, aber es reicht nicht, um irgendetwas über seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Wir tappen immer noch im Dunkeln. D.C. ist zu verdammt groß, um ein illegales Taxi zu finden, und leider ist die Zahl der Obdachlosen dermaßen hoch, dass es so gut wie unmöglich ist, eine einzige verlassene Seele aufzuspüren, die sich versteckt hält.”
January blickte auf ihre nackten Füße, auf die der Sonnenschein fiel, und registrierte abwesend einen kleinen Kratzer im Nagellack.
Sie hatte gehofft, die Polizei könnte Jay Carpenter festnehmen, sobald sie dessen Identität kannte. Doch aufgrund dieser neuen Fakten wusste sie nun, dass sie ihre letzte Trumpfkarte ausspielen musste, wenn sie Mutter Mary T. lebend wiedersehen wollte.
“Ich weiß, wie wir ihn finden”, sagte sie leise.
Ben erstarrte, dann hielt er sich den Hörer ans andere Ohr. “Was hast du gesagt?”
“Ich sagte … Ich weiß, wie wir ihn finden können.”
“Wie?”
“Gehst du heute ins Revier?”
“Erst nachmittags”, erwiderte er. “Ich habe seit über sechsunddreißig Stunden nicht geschlafen.”
“Gut. Dann habe ich noch ein bisschen Zeit, um den Plan richtig zu durchdenken.”
“Was für
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