Der Jünger
Himmels willen, Sie können doch mal ein paar Minuten warten, oder?”, entgegnete January. “Sie haben ansonsten keine Anhaltspunkte. Geben Sie ihm zumindest eine Chance.” Dann griff sie nach dem Taschentuch und tupfte Joseph wieder die Tränen vom Gesicht.
Schließlich verebbten seine Schluchzer. Während er noch den Kopf an Januarys Schulter gelehnt hatte, fragte sie ihn weiter aus.
“Okay, Joey, wo war Mutter Mary zuletzt, als du sie gesehen hast?”
Joseph stand auf und zeigte zum Liefereingang.
“Was hat sie gemacht?”
“Mit dem Mann geredet.”
“Was hat sie zu ihm gesagt?”
“Sie sagt: 'Wie heißen Sie? Wie heißen Sie?'“
“Hat er geantwortet?”
“Ja.”
Januarys Hoffnung wuchs. “Was hat er denn für einen Namen gesagt?”
Joseph runzelte die Stirn und setzte sich wieder. Je länger er nachdachte, desto nervöser wurde er. Er wiegte sich vor und zurück, schlug sich mit den Fäusten auf die Knie und fing wieder an zu weinen.
“Es ist schon in Ordnung”, beruhigte ihn January. “Lass uns mal nachdenken, Jannie hilft dir beim Nachdenken, okay?”
“Ja. Ja, Jannie hilft.”
Januarys Gedanken rasten. Ihr musste etwas einfallen, womit sie Josephs Erinnerung in Gang setzen konnte. Schließlich dachte sie an die Zeichnungen.
“Ben, hast du die Porträts mit?”
“Ja”, erwiderte er.
“Ich hole sie”, bot Rick an und rannte zum Wagen. Kurz darauf kam er zurück. “Hier sind sie.”
January strich die drei Bilder glatt, dann legte sie sie vor Joseph auf den Boden. “Ich möchte, dass du dir diese Bilder mal ansiehst, Joey, okay?”
“Okay”, sagte er und beugte sich vor.
“Erkennst du den Mann, der Mutter Mary mitgenommen hat?”
“Ja.”
“Dann zeig ihn mir mal”, erwiderte January und erwartete, dass er auf eine der Abbildungen des Priesters mit Vollbart und langem Haar zeigte. Zu ihrer Überraschung deutete er auf das rasierte Gesicht. “Bist du ganz sicher?”
Joseph nickte.
“Welche Farbe hatten seine Kleider?”
“Er hatte ein grünes Hemd. Ich mag Grün.”
“Ich auch, Joey. Jetzt sag mir noch etwas. Als Mutter Mary den Mann gefragt hat, wie er heißt, was hat er da geantwortet?”
“Es war ein blauer Vogel. Er macht Häuser für die blauen Vögel.”
“Himmel Herrgott”, brummelte Borger. “Ich fahre gleich zurück zum Revier. Ruft mich an, wenn ihr was Neues erfahren habt.”
Ben hatte geschwiegen und January reden lassen. Langsam begann er, Januarys Strategie zu verstehen. Indem sie aus verschiedenen Winkeln ansetzte, um auf einen bestimmten Punkt zu kommen, schaffte sie es, sich mit dem begrenzten Denkprozess dieses Mannes vertraut zu machen. Vorsichtig startete er einen eigenen Versuch.
“Was für ein blauer Vogel, Joseph?”, fragte Ben. “Können Sie ihn mir zeigen?”
Joseph nickte, dann stand er auf, nahm Ben bei der Hand und führte ihn zu einer Bank unter ein paar Bäumen. Dann zeigte er zu den Ästen hoch, während die anderen ihnen folgten.
“Dieser Vogel. Sieh. Er hat seinen Namen.”
Als Ben nach oben sah, flog ein blauer Eichelhäher von einem der Äste herunter auf den Boden, pickte nach einem Käfer und trug ihn im Schnabel weg.
“Das ist ein blauer Eichelhäher”, sagte Ben, “ein
Jay.”
“Ja, ja!”, rief Joseph. “Jay. Er sagte Jay. Sein Name macht Häuser.”
“Wer macht Häuser?”, murmelte Rick.
Ben ging alle Berufe durch, die ihm einfielen, in der Hoffnung, einen Treffer zu landen. “Baumeister, 'builder' … Bauunternehmer, 'contractor' …”
January mischte sich wieder ein: “Wie wäre es mit Zimmermann, 'carpenter'? Joseph, hat er vielleicht Carpenter gesagt?”
“Ja. Er sagte Carpenter. Das hat er gesagt.”
January war in Hochstimmung. Sie umarmte Joseph herzlich, dann wandte sie sich an Borger. “Jetzt haben sie nicht nur ein Gesicht, sondern – dank Joseph – auch noch einen Namen. Machen Sie was daraus und sagen Sie mir Bescheid, wenn es etwas Neues gibt.”
Rick hob die Zeichnungen auf.
Borger verzog anerkennend das Gesicht. “Scheint so, als müssten wir uns schon wieder bei Ihnen bedanken.”
“Ich brauche keinen Dank”, erwiderte January. “Mir ist nur wichtig, dass Sie meine Freundin finden.”
“Wir werden den Namen und das Porträt durch den Computer jagen und sehen, ob wir einen Treffer landen”, sagte Ben.
“Ich bringe Joseph hinein”, erwiderte January.
Ben zögerte. Einerseits wollte er noch bleiben, andererseits musste er sich mit den neuen Informationen
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