Der Jünger
einen Plan? Wovon zum Teufel redest du?”
“Der Plan, um Jay Carpenter endlich aus seinem Versteck zu locken.”
“Und wie, schlägst du vor, soll das funktionieren?”, wollte er wissen.
“Indem ich den Lockvogel spiele.”
Ben hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt. Er brauchte einen Moment, um sich zu fangen, dann begann er zu schimpfen.
“Lockvogel? Verflucht, January, nein und noch mal nein!”
“Wir haben keine Wahl”, entgegnete sie. “Denk an all die Männer, die verschwunden sind. An die alte Nonne. Du hast sie doch gesehen, Ben. Du weißt, wie zerbrechlich sie ist. Mein Gott, sie ist über siebzig. Und erinnerst du dich, was wir im Obdachlosenheim erfahren haben? Mutter Mary T. ist krank, sie braucht medizinische Hilfe. Was ist, wenn sie an irgendeinem gottverlassenen Ort stirbt, weil ich zu feige war, sie zu retten? Mutter Marys Leben hängt womöglich davon ab, wie schnell wir sie finden, und das weißt du auch.”
“Ich will nicht, dass du das tust”, sagte er.
January hörte die Besorgnis in seiner Stimme, doch sie wollte ihren eigenen Mut nicht verlieren.
“Ich will es eigentlich auch nicht, aber ich könnte nicht damit leben, wenn ich's nicht versuchen würde.”
“Himmel Herrgott noch mal”, schimpfte Ben. Einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte er: “Also, wie sollen wir das anfangen?”
“Ich habe gerade eine große Auszeichnung bekommen, wie du dich sicher erinnerst. Es wäre doch eine feine Sache, wenn der Fernsehsender, für den ich arbeite, einen kleinen Bericht über den Preis und meine bescheidene Person bringen würde. Ich denke, die Öffentlichkeit verdient es, ein bisschen mehr über mich zu erfahren. Soweit wir wissen, hat Carpenter noch immer keine Maria Magdalena.”
“Jetzt werde ich auf keinen Fall mehr ins Bett gehen”, brummelte Ben. “Mach, dass du deinen hübschen Hintern ins Revier schwingst, und zwar so schnell wie möglich. Wenn du das wirklich durchziehen willst, dann werde ich auf jeden Fall dafür sorgen, dass du so gut verkabelt wirst, bis du kein Päckchen Kaugummi mehr kaufen kannst, ohne im Weißen Haus Alarm auszulösen.”
“Redest du von Sendern?”
“Ja.”
“Okay. Damit kann ich leben.”
Ben kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Er wünschte, er wäre jetzt bei ihr. Er wollte sie spüren, nicht nur mit ihr telefonieren. Er wollte sie festhalten.
“Du machst mich verrückt”, sagte er.
“Versuche nicht, mir das auszureden.”
Das hätte Ben zwar gerne probiert, doch wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre und es hätte sich um seinen Freund gehandelt, würde er genauso fest entschlossen handeln.
“Das werde ich nicht”, versprach er. “Aber du musst mich auch verstehen. Dein Plan gefällt mir überhaupt nicht.”
“Mir genauso wenig”, erwiderte sie, dann blickte sie auf die Uhr. “Ich muss mich beeilen, wenn wir das noch in die Mittagsnachrichten und in die Zeitungen für morgen bekommen wollen. Wir sehen uns gegen zwölf im Revier. Versuch, noch ein bisschen zu schlafen.”
“Schlafen? Süße, ich werde vielleicht überhaupt nie wieder schlafen können.”
January seufzte. “Tut mir leid.”
“Vergiss es. Sieh nur zu, dass du weiteratmest und nicht zu Schaden kommst. Mehr will ich gar nicht. Bis später dann.”
Er hatte aufgelegt, bevor January noch etwas erwidern konnte. Sie hatte “Ich liebe dich” sagen wollen, aber das würde sie lieber persönlich sagen – später. Sie rief den Sender an. Es musste noch eine Menge erledigt werden, um ihren Plan durchführen zu können, und es blieb nur wenig kostbare Zeit dafür. Das Leben mehrerer Menschen hing jetzt von ihrem Plan ab. Er musste ganz einfach funktionieren!
Jays Tag fing schlecht an, und er sollte noch schlimmer werden. Als er aufwachte, hatte er so starke Schmerzen, dass ihm übel wurde. Er schüttete sich die letzten Schmerztabletten in die Hand, warf sie sich in den Mund und kaute. Die trockenen, säurehaltigen Pillen verwandelten sich auf seiner Zunge zu einem bitteren Pulver.
Er rümpfte die Nase, bevor er sich anzog. Er wünschte sich nichts sehnlicher als ein heißes Bad und saubere Kleidung, vielleicht ein paar Eier und Schinken mit Brötchen und Soße. Sobald er seine Familie mit Essen und Wasser versorgt hatte, würde er zu seinem Lieblingsimbiss fahren und sich etwas Gutes gönnen.
Er stolperte zur Campingtoilette außerhalb seines Zimmers und hielt die Luft an, während er sich erleichterte, dankbar, dass
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