Der Jünger
können, aber so würde er sie eben bis morgen aufheben. Mutter Mary würde Hühnchen zum Frühstück speisen können.
Er stellte ein Gericht für sie in seine Kühltasche. Dann nahm er die Tüte mit den anderen, griff nach seiner Taschenlampe und machte sich auf den langen Weg zum anderen Ende.
Er blieb vor der verriegelten Tür stehen und holte eines der Gerichte heraus.
Judas.
Nein. Jude.
Gott hatte ihn zu dieser Frau geführt, und Gott machte keine Fehler! Also musste sie sein Judas sein. Er löste die Stange, nahm das Essen und die Lampe und öffnete die Tür, dann leuchtete er Jude ins Gesicht.
Sie lag auf der Seite. Die Hose hatte sie wieder hochgezogen, aber nicht zugemacht, sodass ein Wulst aus Fett und Muskeln zu sehen war. Ihr Menstruationsblut war durch die Hosen auf den Boden gesickert.
Jay sah weg.
“Wenn du nicht gekommen bist, um mich freizulassen, dann geh mir, verdammt noch mal, aus den Augen”, funkelte Jude ihn böse an.
Jay bemerkte, dass sie geweint hatte. Ihre Augen waren fast zugeschwollen und die Nase war gerötet. Ihr Zustand passte so wenig zu ihrem Äußeren, dass er sie nur anstarren konnte. Dann fiel ihm wieder ein, warum er hier war.
“Du musst hungrig sein. Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht. Hühnchen!”
Jude rappelte sich vom Boden auf und streckte ihm die Hände entgegen. Im Dunklen wirkten ihre Handflächen schwarz.
“Siehst du das?”, zischte sie. “Das ist Blut. Meinst du, ich fasse mein Essen mit solchen Händen an? Hau ab. Mach, verdammt noch mal, dass du wegkommst, und lass dich nie wieder blicken.”
Der vollkommen emotionslose Tonfall berührte ihn.
“Du kannst dir die Hände mit etwas Wasser waschen. Ich hole dir Wasser.”
“Ich kann nichts riechen, außer meinem Blut. Bring das Essen hier weg, bevor ich kotze. Ich meine es ernst. Hau ab, du Wichser!”
Obwohl Jay derjenige sein sollte, der das Sagen hatte, fühlte er sich angesichts ihres Ekels hilflos. Er zog sich aus dem Zimmer zurück, das Hühnchen noch immer in der Hand, und verriegelte die Tür.
“Na gut”, murmelte er, während er sich auf den Weg zum Hochofen machte. “Wenigstens werden die anderen es zu schätzen wissen.”
Als er durch die Tür trat, schlug ihm ein Gestank entgegen, bei dem sich sein Magen umdrehte. Auf der Suche nach der Ursache für diesen unerträglichen Geruch jagte er den Lichtkegel seiner Taschenlampe wild durch den Raum.
“Ist jemand krank?”, fragte er dann.
“Vier von uns”, erwiderte jemand. “Wir haben alle die Scheißerei, und Matthew ist am Verwesen. Fahr zur Hölle!”
Jay stieg das Blut zu Kopf. “Sag das nie wieder!”, schimpfte er. “Ich habe dir verboten, so etwas zu sagen.”
“Und was willst du dagegen tun?”, meldete sich ein anderer. “Uns töten?”
Ein schrilles, gequältes Lachen tönte durch den Raum, und der wilde, zornige Ton erschreckte Jay.
“Ich habe Hühnchen für euch alle mitgebracht.”
“Schieb es dir in den Arsch. Oder noch besser, beug dich vor und lass es mich machen!”
Jay schwenkte den Schein der Lampe über die Gesichter, die ihn anstarrten. Alle zugewachsen mit Bärten, beschmiert mit Dreck und zahllosen nässenden, wunden Stellen. Erschüttert stellte er die Tüte mit den Lebensmitteln auf den Boden und zog sie zu dem Mann hinüber, der sich am nächsten zum Eingang befand.
“Los, verteil es!”, forderte er ihn auf.
“James ist bewusstlos”, klärte ihn Tom auf. “Und zwar schon seit Stunden. Wahrscheinlich ist er morgen auch tot. Also, wenn du dein Huhn loswerden willst, dann stell es auf den Boden. Dann haben wenigstens die Ratten noch was anderes zu fressen außer Matthew.”
Jay richtete die Laterne auf den Mann, der das gesagt hatte, und zuckte zusammen. Tom Gerlich trug verfilzte Kleidung und stand im Dreck. Immerhin, er konnte noch stehen, aber das Feuer in seinen Augen flößte Jay Furcht ein.
Jay wechselte die Taschenlampe von einer Hand zur anderen, dann tastete er hinter sich nach dem Ausgang, für den Fall, dass er losrennen musste.
Bevor ihm klar geworden war, dass er den falschen Weg eingeschlagen hatte, hatte er Böses getan und keine Furcht gekannt. Doch das war sein anderes, sein altes Leben gewesen. Jetzt hatte doch ein neues, besseres Schicksal begonnen. Jeder Atemzug, den er getan hatte, nachdem man ihn wieder zum Leben erweckt hatte, war voller Angst gewesen.
Sein Thomas zweifelte an ihm. Das hatte er erwartet. Aber alles würde sich ändern, sobald er seinen
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