Der Jünger
Schultern. Der rote Lippenstift schien eine unausgesprochene Einladung zum Küssen zu sein. Doch ihr erhobenes Kinn und die selbstbewusste Körperhaltung signalisierten eine ablehnende Distanz.
Ben blickte auf, als er vom anderen Ende des Büros jemanden pfeifen hörte. Sofort begriff er, dass dieser Pfiff January galt. Wütend funkelte er den Büroschreiber an, der es gewagt hatte zu pfeifen, doch er erntete von dem Mann nur ein Grinsen. Bevor Ben eine Bemerkung dazu machen konnte, stand January bereits neben ihm.
“Hier bin ich”, sagte sie.
Er sah sie anerkennend an, dann runzelte er die Stirn. “Du bist nicht zu übersehen. Ich weiß ja nicht, was ich von diesem Outfit halten soll, Süße. Es ist vielleicht ein bisschen langweilig. Meinst du nicht, du hättest dich ein bisschen mehr herausputzen und … na ja, ich weiß nicht … vielleicht mit nacktem Po wie Lady Godiva die Pennsylvania Avenue entlanglaufen können?”
January lächelte. “Danke. Ich tue mein Bestes.”
Er unterdrückte einen Fluch und nahm sie beim Ellbogen.
“Dann lass uns zum Captain ins Büro gehen. Sie warten auf dich.”
“Wer wartet?”, fragte sie.
“Borger, Rick und zwei Techniker vom Überwachungsdienst.”
“Okay, ich bin bereit.”
Ben sah sie forschend an, dann wandte er den Blick ab. “Nur damit du es weißt, ich werde dafür nie bereit sein.”
January legte ihre Hand in seine. “Ich muss dir was sagen, bevor wir damit anfangen.”
“Was?”
“Ich liebe dich so sehr. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Aber … Ich werde nicht entsetzt sein, wenn du nicht das Gleiche für mich empfindest. Trotzdem wollte ich es dich wissen lassen – nur für den Fall.”
Ben traute seinen Ohren kaum. Ein Leben lang hatte er auf die richtige Frau gewartet, um ihr eines Tages genau diese Worte sagen zu können. Und erst jetzt, in diesem Augenblick, als January die Worte aussprach, die eigentlich seine hätten sein sollen, erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, was er für sie empfand. Sie war die Frau, auf die er so lange gewartet hatte, sie war die Richtige!
“Du hast mich vollkommen in der Hand. Weißt du das?”
Sie schüttelte den Kopf, aber er konnte die Wahrheit in ihren Augen lesen. Sie wusste, dass er verrückt nach ihr war. Und plötzlich machte es ihm nichts mehr aus, beobachtet zu werden. Ein Augenpaar nach dem anderen beobachtete diese offenkundige Liebesbezeugung. Er umarmte sie, zog sie fest an sich und legte die Wange an ihren Kopf.
“Ich würde sehr gern den Rest des Lebens mit dir zusammen verbringen”, flüsterte er. “So gern, dass ich es nicht in Worte fassen kann, und was du jetzt machst, bringt mich fast um den Verstand.”
January schlang ihre Arme um seine Hüfte, ohne auf die Pfiffe und Anfeuerungsrufe ihrer Zuschauer zu achten, und gab ihm einen langen, innigen Kuss auf den Mund.
“Es wird alles gut gehen. Du wirst schon sehen”, versicherte sie ihm. “Jetzt lass uns machen, dass ich verdrahtet werde. Ich muss zu einer Nachrichtenkonferenz und habe ein paar Interviews mit Kollegen.”
“He, North!”
Ben sah auf. Borger stand an der Tür zu seinem Büro. “Wenn ihr beiden mit dem Vortrag über Beatmungstechnik fertig seid, bring sie rein.”
“Ja, Sir.” Ben betrachtete January eingehend. Er bewunderte ihre Entschlossenheit. “Nur damit du es weißt, ich bin wirklich stolz auf dich und ich verspreche, ich lasse es nicht zu, dass dir irgendwas passiert, okay?”
January nickte. “Ich nehme dich beim Wort.”
Das Interview, das sie beim Fernsehsender gegeben hatte, wurde live ausgestrahlt. Mit etwas Druck vom Bürgermeister und dank eines verständnisvollen Produktionsleiters und des Besitzers des Senders brachten die Mittagsnachrichten sogar ein kleines Porträt über sie, in dem sie nicht nur interviewt, sondern auch ihr vollständiger Name mehrmals erwähnt wurde.
Inzwischen wusste ganz Washington D.C., dass die beliebteste Fernsehjournalistin für Live-Reportagen als January Maria Magdalena in einem kleinen Dorf außerhalb von Juarez in Mexiko geboren wurde und in Houston aufgewachsen war.
Mit einem Zeitungsinterview, das sie gegeben hatte, und einem weiteren, das noch folgen würde, glaubte January, nun alle wichtigen Medien abgedeckt zu haben. Jetzt kam es auf Jay Carpenter an. Wenn er weiterhin versuchte, das Leben von Jesus Christus nachzuleben, dann würde er auf jeden Fall eine Maria Magdalena brauchen.
Nach dem Besuch des Polizeireviers
Weitere Kostenlose Bücher