Der Jünger
machte es sie nicht mehr ganz so nervös, sich als Lockvogel zu präsentieren. Die Techniker des Überwachungsdienstes hatten sie mit drei Sendern ausgestattet. Einer wurde an der Innenseite ihres BHs befestigt. Ein anderer befand sich in einem Lippenstift in ihrer Handtasche, und der letzte wurde am Auto installiert. Außerdem hatten sie ihr für die Handtasche eine kleine Spraydose mit Reizgas ausgehändigt.
Sie hatten auch in Erwägung gezogen, ihr eine Pistole zu überlassen. Doch selbst ihre eigene kleine Pistole wollte January nicht bei sich tragen, um keinen Verdacht zu erregen.
Ziel des Plans war es, dass der Priester January zu dem Ort brachte, an dem sich auch die anderen Opfer befanden, und das würde nicht geschehen, wenn sie ihn mit ihrem Revolver bedrohte. Die Aufgabe der Polizei war es nun, sie und die restlichen Entführten aufzuspüren. January hatte alles getan, was sie konnte. Nun ging es einfach nur noch darum, den Schein zu wahren und zu sehen, ob der Sünder nach dem Köder schnappte.
Jay trug sein letztes sauberes Hemd und befand sich in einer bedrohlichen Endzeitstimmung, von der er sich allerdings kaum etwas anmerken ließ. Obwohl in seinen Augen ein wildes, wütendes Funkeln lag, wirkte er ruhig, fast devot.
Als er im Taxi wieder zu sich gekommen war, hatte er entdeckt, dass er sich in die Hosen geschissen hatte. Das hatte ihm den Rest gegeben. Er wollte, dass es vorbeiging. Es musste ein Ende haben, bevor noch mehr schieflief. Noch immer hoffte er, genug Gutes getan zu haben, um das Schlechte aufzuwiegen. Schließlich musste niemand auf dieser Welt perfekt sein. Auch Menschen mit guten Vorsätzen versagten von Zeit zu Zeit. Manche zweifelten sogar an ihrem Glauben. Sie mussten nur immer wieder um Vergebung bitten. Das sagte er sich immer und immer wieder. Nur dieser Glaube erhielt ihn am Leben!
Sein Plan war doch perfekt – göttlich eben! Jeder Schritt war durchdacht: Er hatte zehn Jünger, seinen Judas, seine Mutter. Hatte er doch irgendetwas vergessen? Er würde noch einmal alles ganz genau durchgehen – später. Er hatte nicht so lange und so hart an der Realisierung dieses Plans gearbeitet, um jetzt zuzusehen, wie er sich in Luft auflöste.
Als er gegen Mittag seinen letzten Fahrgast abgesetzt hatte, schaltete er das Frei-Signal aus und fuhr zu einem Imbiss, um zu essen. Er hatte auch kein Frühstück gehabt. Er musste etwas zu sich nehmen, um den restlichen Tag zu überstehen. In diesem Moment konnte er nicht einmal den Gedanken an das ertragen, was ihn im Lagerhaus erwartete.
Das Restaurant suchte Jay danach aus, ob er einen freien Parkplatz direkt vor der Tür fand. An den ersten Lokalen musste er deshalb vorbeifahren, weil sie ihm keinen schnellen Fluchtweg ermöglicht hätten. Direkt vor einem Grillimbiss fand er einen Parkplatz. Schnell stellte er den Wagen ab und ging hinein. Er wollte nur rasch einen Bissen zu sich nehmen, um dann sofort zum Lagerhaus zurückzufahren. Er musste Matthews Leiche holen und ihm ein richtiges Begräbnis verschaffen. An die Hasstiraden und Morddrohungen seiner Jünger wollte er lieber gar nicht erst denken. Sie verstanden einfach nicht, wie wichtig sie für Gottes Plan waren.
Jay rutschte auf einen Barhocker am Tresen und nahm sich eine Speisekarte, die zwischen zwei Serviettenhalter geklemmt war.
“Kaffee, Mister?”
Er blickte auf. Eine Kellnerin stand vor ihm, die Kaffeekanne in der einen Hand und eine Tasse in der anderen.
Er nickte.
Sie schenkte ihm ein.
“Wissen Sie schon, was Sie essen wollen?”, erkundigte sie sich.
“Rumpsteak-Sandwich mit Pommes.”
“Scharfe oder milde Soße?”
“Scharf. Extra auf den Teller.”
Sie stellte ein Glas Wasser neben seinen Kaffee. “Kommt sofort”, bestätigte sie und eilte davon, um die Bestellung weiterzugeben.
Jay setzte die Tasse an die Lippen und zuckte zusammen, als er sich mit dem ersten Schluck die Zunge verbrannte. Er löffelte zwei Eiswürfel aus seinem Wasserglas in den Kaffee und rührte um. Jetzt war die Temperatur genau richtig.
Eine halbe Tasse Kaffee später begann das Koffein zu wirken. Jay atmete tief durch und dann langsam aus. Einen Moment lang überlegte er, in sein Taxi zu steigen und sich dann von der nächsten Brücke in den Potomac zu stürzen, doch dann schüttelte er diesen Gedanken wieder ab.
Selbstmord war verboten.
Auf diese Art kam er nicht in den Himmel.
Er musste auf den Lauf der Dinge vertrauen.
Es würde funktionieren.
Es musste.
“Hier,
Weitere Kostenlose Bücher