Der Jünger
bitte schön, Mister.” Die Kellnerin stellte einen Teller vor ihn. “Kann ich Ihnen sonst noch was bringen?”
Jay überprüfte den Teller, dann deutete er auf den Tresen.
“Ketchup.”
Jay schüttelte die Ketchupflasche, dann drückte er einen kräftigen Klecks auf seine Pommes frites und begann zu essen. Nachdem er die Hälfte seines Tellers geleert hatte, rief jemand: “He, Trudy, dreh mal den Ton auf. Da ist January DeLena im Fernsehen, die ist heiß.”
Die Kellnerin verdrehte die Augen, erfüllte dem Kunden aber seinen Wunsch.
Jay hörte auf zu essen, als er January in den Mittagsnachrichten sah.
“… in Juarez, Mexiko. Wann kam Ihre Familie in die Vereinigten Staaten?”
“Als ich neun war”, erwiderte January.
“Faszinierend”, bemerkte die Interviewerin. “Und wie sind Sie zum Journalismus gekommen?”
January lachte. “Stellen Sie sich vor, durch einen Freund. Es war im College. Er wollte zum Fernsehen und belegte die entsprechenden Kurse. Ich fand, die Namen dieser Kurse klangen ganz interessant und belegte sie ebenfalls. Die Seminare waren großartig. Er brach sein Studium ab. Ich blieb. Ende der Geschichte.”
“Das war also der Anfang von January Maria Magdalena.”
“Ja.”
“Verraten Sie uns, warum sie ihren Namen von January Maria Magdalena in Jxanuary DeLena gekürzt haben?”
“Nun, diese Idee ist eigentlich gar nicht auf meinem Mist gewachsen. Das ergab sich bei meinem ersten Job. Der Produktionsleiter war der Ansicht, dass mein Name unaussprechlich lang sei, da hat er ihn einfach eingekürzt! Und das sogar ohne meine Einwilligung, indem er mich eines Abends in der Sendung als January DeLena vorstellte. So sehr mich das auch geärgert hat, letzten Endes behielt er recht. Der Name prägte sich ein. Wie auch immer es dazu kam. Ich bin trotzdem stolz auf meine lateinamerikanische Herkunft.”
Das Interview ging weiter, doch Jay hörte nicht mehr zu. Plötzlich wusste er, was er vergessen hatte. Es gab doch eine Lücke in der Vollständigkeit seines göttlichen Plans. Jesus hatte eine Maria Magdalena, Jay nicht. Dabei war sie die ganze Zeit direkt vor seiner Nase gewesen. Immer wieder hatten sich ihre Wege gekreuzt, und trotzdem hatte er Gottes Zeichen nicht erkannt.
Aber jetzt wurde ihm einiges klar.
Er griff in die Tasche, zog etwas Bargeld hervor und warf es auf den Tresen, bevor er nach draußen ins Sonnenlicht ging. Er blieb auf dem Gehweg kurz stehen und atmete tief durch. Alles würde gut werden.
“Gelobt sei Gott”, murmelte er und lief zu seinem Taxi.
Mutter Mary Theresa lag nur mit ihrem Hemd bekleidet auf der Matratze. Ihr Gewand hatte sie zusammengefaltet über den einzigen Stuhl gelegt, ihre Schuhe und Strümpfe lagen darunter. Ihr gesamter Körper war mit einer feinen Schweißschicht bedeckt, und sie atmete nur flach. Die Muskeln und Gelenke taten ihr weh. Nur vage war ihr bewusst, dass sie nicht im Heim der Barmherzigen Schwestern lag.
Hin und wieder glaubte sie jemanden weinen zu hören. Es klang wie Joseph. Sie wollte aufstehen und nach ihm sehen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr. Sie redete sich ein, dass sie nur noch ein wenig ausruhen und dann aufstehen würde. Doch die Zeit verging, die Geräusche verstummten, und sie hatte sich immer noch nicht bewegt.
Der schmale Sonnenstrahl, der durch das Fenster unter der Decke fiel, verlor langsam an Kraft. Dunkelheit breitete sich aus und wich schließlich der Nacht. Der zweite Tag von Mutter Mary Theresas Gefangenschaft neigte sich langsam seinem Ende entgegen.
20. KAPITEL
A ls Jay das Lagerhaus wieder erreichte, war es bereits dunkel. Eigentlich wollte er Matthews Leichnam begraben, änderte aber seine Meinung. Er benötigte dafür mehr Licht, als ihm seine Laterne spendete. Jetzt hatte er schon so lange dort gelegen, dass eine Nacht mehr oder weniger auch keinen Unterschied mehr machen würde. Matthew befand sich sowieso schon an einem besseren Ort. Alles, was von ihm übrig blieb, war nur seine leere Hülle.
Er hatte vor, mit Mutter Mary Theresa zu sprechen, doch aus ihrem Zimmer kam kein Laut, und er wollte sie nicht wecken, deshalb ging er an ihrer Tür vorbei.
Seine Jünger hatten den ganzen Tag kein Essen und kein Wasser bekommen. Er konnte es kaum erwarten, ihre Gesichter zu sehen, wenn sie erfuhren, das er ihnen Hühnchen mitgebracht hatte. Ein Festessen. Ein Abendmahl, sozusagen! Er wünschte, er wäre früher gekommen, damit auch Mutter Mary ihre Mahlzeit hätte genießen
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