Der Jünger

Decken, Lebensmittel … Was auch immer.”
    January seufzte. “Das werde ich tun, versprochen. Aber lassen Sie mich das trotzdem erklären, ja?”
    “Sie versprechen, dass Sie es vor Kälteeinbruch machen?”
    “Ja, Ma'am.”
    “Gut, dann sei es so. Und was genau wollen Sie nun wissen?”
    “Die Namen. Ich brauche Namen.”
    Die alte Nonne runzelte die Stirn. “Von denen, die seit Kurzem vermisst werden?”
    January nickte.
    Mutter Mary T. lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, faltete die Hände im Schoß und schloss die Augen, als wollte sie ein Mittagsschläfchen halten. January kannte das. Es war ihre Art, sich zu konzentrieren.
    “Mal sehen”, murmelte die Nonne. “Vor einem Monat ungefähr … Delroy.” Sie schlug die Augen auf und zeigte mit dem Finger auf January. “Sie erinnern sich an den Mann – der große Typ ohne Beine, der mit zwei zurechtgebauten Skateboards durch die Gegend schliddert.”
    “Ja … Ja, den kenne ich.”
    Zufrieden fuhr Mutter Mary T. fort. “Wie auch immer, Delroy war in einer schrecklichen Verfassung, als er zu uns kam. Sagte so was wie, jemand hätte ihm seinen besten Freund gestohlen. Ich habe damals nicht besonders darauf geachtet, aber dann erinnerte ich mich an eine ähnliche Geschichte einen Monat davor. Red Susie, das schwarze Mädchen mit der Augenklappe, behauptete, ihr Freund sei verschwunden. Sie meinte, die Außerirdischen hätten ihn entführt. Sicher können Sie verstehen, warum ich solchen Äußerungen nicht viel Wert beimesse.”
    “Gab es noch mehr?”, wollte January wissen und machte sich Notizen.
    Mutter Mary T. überlegte. “Ich glaube, es wurde noch über eine andere Person gesprochen, aber ich kann mich nicht erinnern, wie … Ach, warten Sie! Jetzt weiß ich. Das war der Kamerad, der nicht drinnen schlafen wollte. Egal, was für ein Wetter wir hatten, er kam nicht ins Haus. Es hieß, er wäre ein Kriegsgefangener aus Vietnam und würde verrückt, wenn er in einem geschlossenen Raum ist.”
    “Ihre Namen, Mutter Mary T. Kennen Sie ihre Namen?”
    Wieder legte sich ihre Stirn in Falten, als sie an den Fingern abzählte. “Delroys Freund hieß Simon. Ich weiß den Nachnamen nicht. Keiner von denen hat einen Familiennamen, wissen Sie. Und außerdem weiß ich sowieso nie, ob die Namen, die sie mir nennen, überhaupt die richtigen sind.”
    “Das ist egal”, entgegnete January. “Sie sagten Simon. Wissen Sie, wie die anderen hießen?”
    “Hmm, ich glaube, Red Susie nannte ihren Freund Andy, und sie hat was von Andys Freund Jim erzählt.”
    “Andrew? James?”
    Mutter Mary zuckte mit den Schultern. “So hat sie die nie genannt, aber ich nehme an, das sind ihre Namen.”
    “Und der Vietnam-Veteran? Hatte der einen Namen?”
    “Sie haben ihn Crazy Matt genannt. Ich fand das ein bisschen grob, aber er hat ganz normal darauf reagiert.”
    January notierte den Namen, daneben die ursprüngliche Version. Matthew, Matthäus.
    Als sie die Liste überflog, sträubten sich ihr plötzlich die Nackenhaare.
    Simon.
    Andreas.
    Matthäus.
    Johannes.
    Sie erinnerte sich an den vermissten Mann, der tot aufgefunden worden war.
    Bart. Bartholomäus.
    Wenn das ein Zufall war, dann aber ein ganz außergewöhnlicher. Die Namen von fünf Jüngern Jesu Christi aus der Bibel.
    “Haben Delroy oder Red Susie irgendwann mal den Straßenprediger erwähnt?”
    “Nicht, dass ich wüsste”, erwiderte Mutter Mary T.
    January sah sie enttäuscht an und ließ die Schultern sacken. “Haben sie was – irgendwas – darüber gesagt, wo sie ihre Freunde zuletzt gesehen haben? Etwas in der Art?”
    Mutter Mary verdrehte die Augen. “Na ja, vergessen Sie nicht, Red Susie hat die Aliens beschuldigt.” Sie lachte. “Nur dass diese Außerirdischen offensichtlich Taxifahrer waren.”
    January zog scharf die Luft ein, und Mutter Mary runzelte plötzlich die Stirn. “Das ist komisch”, sagte sie. “Ich habe das vorher nie in einen Zusammenhang gebracht.”
    “Was in einen Zusammenhang gebracht?”, wollte January wissen.
    “Wenn ich mich richtig erinnere, hat Delroy auch behauptet, dass Simon in ein Taxi gestiegen ist. Er hat sich darüber geärgert, dass sie weggefahren sind, ohne auf ihn zu warten.”
    January sah auf die Liste mit den Namen hinunter. War das die Verbindung? Aber wie passte das zu dem Sünder? Frustriert lehnte sie sich in dem alten Sessel zurück und warf Notizblock und Stift in ihre Tasche zurück. Vielleicht gab es keinen Zusammenhang. Vielleicht