Der Jünger
erschiene.
Er stieß seine Stäbchen in die Packung mit dem gebratenen Reis, spießte einen winzigen Shrimp auf und steckte ihn in den Mund, während er in Gedanken alle möglichen Ausreden durchging, mit denen er sich aus der Affäre ziehen könnte. Das Ganze beschäftigte ihn neben seinem Huhn süß-sauer, etwas Rind und Brokkoli überbacken und zwei Frühlingsrollen, dick übergossen mit scharfer Senfsauce. Er spülte alles mit einer Pepsi hinunter, dann knackte er seinen Glückskeks.
Er las den Spruch und stöhnte auf.
Du wirst mit der Liebe deines Lebens etwas Neues unternehmen. Genieße das Experiment.
“Zum Teufel.”
Weniger als zwei Sekunden dachte er darüber nach, bevor er sich schließlich das Telefonverzeichnis schnappte und die Gelben Seiten durchblätterte. Es gab Dutzende von Geschäften, die Ballkleidung vermieteten. Er markierte die drei, die am nächsten zu ihm lagen, dann drehte er das geöffnete Telefonbuch um, damit er die Seite schnell wiederfand.
Er warf die Imbissverpackungen in den Müll und blickte auf die Uhr. Es war Viertel nach zwölf. Zeit, um zu duschen und noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bis der Wecker klingelte. Kurz bevor er in die Duschkabine stieg, sah er in den Spiegel, fuhr sich mehrmals mit den Fingern durchs Haar und beschloss, dass er auch zum Friseur musste.
Erst viel später, als er fast dabei war einzuschlafen, fiel ihm etwas ein. Wenn er mit January zu diesem verdammten Ball ging, erwartete man sicher von ihm, dass er tanzte, und – der Himmel sei ihm gnädig – er war mit zwei linken Füßen geboren. Er hatte keine Ahnung von Rhythmus, und er konnte den Takt nicht finden, selbst wenn jemand neben ihm stünde und mit dem Trommelschlägel auf seinen Kopf hämmerte.
Er seufzte ergeben, dann rollte er sich auf den Bauch und schlief ein. Er träumte davon, mit January vor allen Leuten zu tanzen, während sein Smoking an den Nähten auseinanderplatzte.
Jay wurde fast verrückt vor Glück. Die ersten vier Jünger befanden sich in ihrer neuen Behausung. Es war nicht gerade leicht gewesen. Schlaftabletten ins Wasser zu rühren und dann auf die Wirkung zu warten, war beunruhigend gewesen, aber er hatte es geschafft. Und während der letzten sechs Stunden hatte er noch zwei weitere Männer zu sich geholt.
Er fuhr ins Lagerhaus und ließ das Tor herunter, bevor er seinen letzten Fahrgast an diesem Tag auslud – eine Freifahrt für einen Straßengauner namens James. Das wäre nun sein zweiter Jakobus.
Dieser Jakobus, der sich selbst Jimbo nannte, war siebenundzwanzig und das Produkt des Sozialhilfesystems des Staates von Virginia. Er besaß keine Familie und nur wenige Freunde und würde nie vermisst werden. Jay gratulierte sich zu diesem Entschluss, als er Jimbo vom Rücksitz zog und in Richtung des neuen Gemeinschaftsraums, den er eingerichtet hatte, schleppte.
Heute Abend würde er seine erste Bibelstunde mit sechs seiner lieben Jünger abhalten. Simon, Matthäus, Andreas, Jakobus, Johannes und mit dem neuen Jünger, den er heute nach Hause brachte, ein zweiter Jakobus. Das hatte bisher gefehlt. Selbst Matthew, der sich seit dem Tag, an dem er ihn gefunden hatte, nie mit ihm direkt verständigte, war in dem neuen Raum ruhig. Entweder weil er jetzt nicht mehr allein war, oder weil er begonnen hatte, Jay zu vertrauen. Jay war das gleich. Der Aufruhr hatte jedenfalls ein Ende, und er würde nun so viel Zeit wie nötig der Aufgabe widmen, Frieden zu bringen.
Johnny Marino hatte keine Ahnung, wieso er auf einmal angekettet in einem riesigen Metallsilo gelandet war. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, wie er sich in der Gasse hinter Petrowski's Deli um seine Geschäfte kümmerte und den Müllcontainer nach leeren Limobüchsen durchsuchte, als ein Taxi in die Straße einbog. Er hatte dem Fahrer einen flüchtigen Blick zugeworfen und gleich mit dem Graben weitergemacht. Dann spürte er plötzlich einen Schlag auf den Kopf und alles wurde schwarz. Jetzt hatte er Eisenringe um die Gelenke und war zwischen einem Schwarzen und einem Typ namens Jim an die Wand gekettet.
Tom Gerlich war sechsunddreißig Jahre alt. Früher war er einmal ein junger, vielversprechender College-Sportler gewesen.
Dann kam Vietnam.
Von dort kam Tom Gerlich ausgebrannt nach Hause, eine mit Drogen vollgepumpte Kopie seiner selbst, und er hatte sich nie wieder erholt. Er war durch die Straßen und Gassen seiner Geburtsstadt New Jersey gestreift, ohne jemals zur Ruhe zu kommen. Dann
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