Der Jünger
seine verdrehten Gedanken im Paradies, begann er zu beten.
Die Männer verfolgten das Schauspiel entgeistert. Was er da von sich gab, machte keinen Sinn. Zum ersten Mal begannen die, die noch eines vernünftigen Gedankens fähig waren, zu begreifen, dass sie nicht nur die Opfer eines Psychopaten waren, sondern eines religiösen Fanatikers – und zwar eines völlig verrückten.
9. KAPITEL
J anuary kam sehr spät nach Hause und war so müde, dass sie sich nur waschen und dann ins Bett gehen wollte. Als sie aus der Dusche stieg, hörte sie ihr Telefon klingeln. Sie griff nach einem Handtuch, da schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Ihre Stimme erklang und bat den Anrufer, eine Nachricht zu hinterlassen. Dann stellte sie fest, dass es Ben war. Automatisch presste sie sich das Handtuch an die Brust, als könne er sie sehen, und erwartete irgendeine hirnverbrannte Ausrede dafür, dass er nicht mitkommen konnte.
Sie hatte sich getäuscht.
“Hallo, Süße, ich habe deine Nachricht erhalten. Ich gratuliere dir herzlich. Das ist ja eine große Ehre, und ich fühle mich geschmeichelt, dass du diese große Stunde mit mir verbringen willst. Allerdings …”
January ließ die Schultern sacken. “Jetzt kommt's”, murmelte sie und hätte am liebsten losgeheult.
“… muss ich dir sagen, dass ich keinen Smoking besitze. Also der, den ich dann trage, wird geliehen sein. Natürlich ein schwarzer, wie sich's gehört, aber keinesfalls so ein maßgeschneiderter, wie die anderen Typen ihn wahrscheinlich anhaben.” Dann lachte er. “Das war die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass ich absolut nicht tanzen kann. Ich dachte nur, das solltest du wissen. Wenn das ein Problem für dich ist, habe ich natürlich Verständnis. Ansonsten erwarte ich deinen Anruf, damit wir verabreden können, wann ich dich abholen soll.”
January grinste, setzte sich auf die Bettkante und vergrub ihr Gesicht im Handtuch, während sie weiter seiner Stimme lauschte.
“Und noch eine Warnung. Ich werde dir nicht so ein blödes Ansteckbukett mitbringen. Das letzte Mal, als ich so was gemacht habe, war zu meinem Zwischenprüfungsball. Ich habe einen fußballgroßen roten Nelkenstrauß für meine Verabredung ausgesucht. Sie trug ein helles kanariengelbes Kleid mit so einer riesigen Halskrause. Damit sah sie aus wie Donald Duck. Das verfluchte Ding, also das Blumenbukett natürlich, fiel mitten im Watusi auseinander. Und da ich nicht tanzen kann, sah meine Version des Watusi eher aus wie die letzten Zuckungen eines sterbenden Kranichs. Ich durfte ihr nachher nicht mal einen Gute-Nacht-Kuss geben.”
January ließ sich laut lachend rückwärts aufs Bett fallen. Sie lachte, bis ihr der Bauch wehtat. Oh Himmel, sie hatte sich wirklich total in Ben verliebt.
“Na ja”, sagte er zum Abschluss, “ruf mich an. Du kannst ja auch eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Wenn du nämlich meinst, du kannst es mit meinen Unzulänglichkeiten nicht riskieren, mich mitzunehmen, brauchst du dir nicht anzuhören, wie mein Herz vor Enttäuschung zerbricht. Eine gute Nacht, Süße … Und noch mal herzlichen Glückwunsch.”
January war außer sich vor Freude. Bens Zusage hatte sie so aufgeregt, dass sie die zweite Nachricht auf dem Anrufbeantworter gar nicht gleich bemerkte. So bekam sie von Mutter Mary Theresas Anruf erst etwas mit, als es viel zu spät war, um zurückzurufen.
Am nächsten Morgen klingelte ihr Wecker nicht, sodass sie zu spät zur Arbeit kam. Es war fast Mittag, als es ihr wieder einfiel und sie die Nummer der Nonne wählte.
“Mutter Mary T., ich bin es, January.”
Die kleine Frau schob die Akte beiseite, an der sie gerade gearbeitet hatte, und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Am liebsten wäre sie noch weiter nach hinten gerutscht und hätte die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Doch ihre Hemmungslosigkeit war einer ihrer Fehler, und sie hatte gebetet, um dessen Herr zu werden.
“Das wurde aber Zeit”, bemerkte Mutter Mary T.
January runzelte die Stirn. Sie glaubte Besorgnis in der Stimme der Nonne zu hören.
“Stimmt etwas nicht?”, fragte sie.
“Ich bin mir nicht sicher … Kann sein oder auch nicht. Sind Sie denn immer noch daran interessiert, diesen Straßenprediger zu finden?”
Jetzt hatte sie Januarys volle Aufmerksamkeit. “Wissen Sie, wo er sich aufhält?”
“Nicht direkt.”
Januarys Hoffnung sank. “Aber?”
“Ich weiß vielleicht, wie er aussieht.”
Januarys Herz setzte seinen Schlag
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