Der Jünger
seine Gruppe aufnehmen. Als er vom Tisch aufstand, um seinen Papierteller und Becher in den Müll zu werfen, bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Er drehte sich um und stand einer älteren Nonne gegenüber.
“Guten Tag”, begrüßte ihn Mutter Mary T., “es ist schön, Sie hier zu haben.”
Jay nickte, während er sich bückte, um den mit Kleidungsstücken und Decken gefüllten Müllsack aufzuheben.
Doch das reichte der Nonne nicht. “Ich habe Sie hier schon vorher gesehen, stimmt's?”, fragte sie.
Jay nickte erneut und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Die Nonne folgte ihm auf dem Fuß.
“Ich bin Mutter Mary Theresa.”
Jay reagierte darauf nicht, indem er seinen Namen sagte, wie sie gehofft hatte – nicht einmal einen falschen. Er ging einfach nur weiter.
Sie war jedoch nicht bereit, so einfach aufzugeben. Jetzt lief sie noch schneller, um ihn überholen zu können, bis sie gerade weit genug vor ihm stand, dass er stehen bleiben musste, um sie nicht umzurennen. “Mir wurde gesagt, dass Sie auch Gottes Werk verrichten.”
Jay runzelte die Stirn. “Ich muss jetzt gehen”, sagte er und versuchte, sie zu umrunden. Zu seinem Ärger versperrte sie ihm weiter den Weg.
“Sind Sie der Mann, der sich 'der Sünder' nennt?”
Jays Herz setzte einen Schlag aus, doch irgendwie schaffte er es, Haltung zu bewahren.
“Sind wir nicht alle Sünder in Gottes Augen?”, fragte er zurück, dann drückte er sich schnell an ihr vorbei und machte, dass er wegkam.
Mutter Mary T. war enttäuscht. Sie schlug sich mit der Faust in die Seite. Obwohl “Mord ist ihr Hobby” eine ihrer alten Lieblingssendungen im Fernsehen gewesen war, stellte sie ganz sicher keine Jessica Fletcher dar. Das Kinn vorgereckt, folgte sie ihm nach draußen, musste aber feststellen, dass er bereits in dem Menschenauflauf vor dem Gebäude verschwunden war. Sie war auf dem Weg zurück ins Haus, als ein Taxi an ihr vorbeifuhr. In dem Moment blickte sie auf und entdeckte zu ihrer Überraschung den Mann von vorhin hinter dem Steuer.
“Oh Herr im Himmel”, murmelte sie. “Er ist es. Das muss er sein.” Sie beeilte sich ins Haus zu kommen, um January anzurufen.
Es war fast zehn Uhr, als Ben endlich nach Hause kam. Zwei Stunden vor Mitternacht, und er würde jetzt erst zu Abend essen. Er hatte ein chinesisches Essen vom Imbiss in der einen Hand und seine Post unter den anderen Arm geklemmt, als er die Tür aufschloss. Er warf seine Schlüssel im Vorübergehen auf den Flurtisch und stellte das Essen und den Stapel Briefe auf die Theke in der Küche, bevor er sich umzog.
Wenige Minuten darauf kam er in Shorts und einem alten T-Shirt von einem Konzert der Grateful Dead in die Küche zurück. Er genoss das Gefühl des Teppichs unter seinen nackten Füßen, als er sein Dinner auf einem Tablett ins Wohnzimmer trug. Ben griff nach der Fernbedienung, da sah er, dass das rote Licht seines Anrufbeantworters blinkte. Er nahm einen großen Bissen von seinem Ei Foo-Yong, dann drückte er die Play-Taste, ließ die Nachricht von der Reinigung schnell durchlaufen, eine von der Apotheke und eine vom Psychologen des Reviers, der ihn daran erinnerte, dass sein jährlicher Besuch fällig war. Es blieb nur noch eine Nachricht übrig, als er genüsslich mit seinem Cashewnut Chicken begann. Er verschluckte sich fast beim Klang von Januarys Stimme.
Zuerst grinste er, während er kaute. Er fühlte einen merkwürdigen Anflug von Stolz, als sie den Preis erwähnte, der ihr überreicht werden sollte. Doch bei dem Wort “Smoking” runzelte Ben die Stirn. Er schüttelte schon den Kopf, da fiel ihm ihre leicht zittrige Stimme auf. Es war ihr Vorschlag, dass er die Einladung mit einer Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter absagen könnte, der dafür sorgte, dass seine männliche Abneigung gegen solchen Firlefanz plötzlich von Schuldgefühlen abgelöst wurde.
“Teufel noch mal”, murmelte er und schluckte.
Er starrte auf den Lichtschalter an der gegenüberliegenden Wand, als würde dort ein magisches Zeichen erscheinen, das ihm sagte, was er tun sollte. Es war mindestens zehn Jahre her, als er das letzte Mal einen Smoking getragen hatte, und zwar zur Hochzeit eines Freundes. Er besaß so ein Ding gar nicht, was bedeutete, er müsste sich einen leihen. Irgendetwas sagte ihm, dass es genauso wäre, wie ein Schild auf dem Rücken zu tragen, das “Keine Klasse” besagte, wenn er mit einem geliehenen Smoking auf einem vornehmen Wohltätigkeitsball
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