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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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»ihre Augen sind aber nicht ganz schwarz ... nur die Wimpern sind sehr schwarz, und daher erscheinen auch die Augen so dunkel ...«
    Auf einmal aber wurden mir alle diese Erinnerungen höchst widerwärtig ... und es bemächtigte sich meiner ein Gefühl des Verdrusses, ja des Ekels über die beiden Frauenspersonen und über mich selbst. Ich machte mir irgend etwas zum Vorwurf und gab mir Mühe, an etwas anderes zu denken. »Warum verspüre ich nicht die geringste Entrüstung über Wersilow wegen der Geschichte mit der Nachbarin?« Dieser Gedanke ging mir auf einmal durch den Kopf. Meinerseits war ich fest davon überzeugt, daß er hier die Rolle eines Liebhabers gespielt hatte und hergekommen war, um sich zu vergnügen, aber das versetzte mich eigentlich nicht in Empörung. Es schien mir sogar, daß man sich ihn gar nicht anders vorstellen könne, und obgleich ich mich wirklich darüber freute, daß er an den Pranger gestellt worden war, so klagte ich ihn doch nicht an. Nicht das war mir wichtig; wichtig war mir, daß er mich so böse angesehen hatte, als ich mit der Nachbarin hereinkam, mich so angesehen hatte wie noch nie zuvor. »Endlich hat auch er mich ernst angesehen!« dachte ich mit stockendem Herzschlag. Oh, wenn ich ihn nicht geliebt hätte, würde ich mich nicht so über seinen Haß gefreut haben!
    Endlich schwand mir das Bewußtsein, und ich schlief fest ein. Ich erinnere mich nur, als wäre es ein Traum gewesen, daß Wassin, als er mit seiner Arbeit fertig war, alles sorgfältig wegräumte, einen prüfenden Blick nach meinem Sofa warf, sich auszog und die Kerze auslöschte. Es war zwischen zwölf und ein Uhr nachts.

IV
     
    Fast genau zwei Stunden später fuhr ich wie ein Halbverrückter aus dem Schlaf auf und setzte mich auf meinem Sofa aufrecht. Hinter der Tür zu den Nachbarinnen erscholl furchtbares Geschrei, Weinen und Heulen. Unsere Tür war sperrangelweit geöffnet, und auf dem Flur, der schon erleuchtet war, schrien und liefen Menschen. Ich wollte schon Wassin rufen, sagte mir aber, daß er nicht mehr im Bett sein würde. Da ich nicht wußte, wo die Zündhölzer zu finden waren, tastete ich nach meinen Kleidern und begann mich eilig im Dunkeln anzuziehen. Bei den Nachbarinnenwaren offenbar die Wirtin und die anderen Untermieter zusammengelaufen. Es schrie übrigens nur eine Stimme, nämlich die der älteren Nachbarin, während die junge Stimme von gestern, die ich sehr gut im Gedächtnis hatte, vollständig schwieg; ich erinnere mich, daß dies der erste Gedanke war, der mir damals durch den Kopf ging. Ich war mit dem Ankleiden noch nicht fertig, als Wassin eilig eintrat; in einem Augenblick hatte er mit geübter Hand die Zündhölzer gefunden und im Zimmer Licht gemacht. Er war nur in Hemd, Schlafrock und Pantoffeln und machte sich sogleich daran, sich anzuziehen.
    »Was ist denn passiert?« rief ich ihm zu.
    »Eine sehr unangenehme Geschichte, die viel Mühe und Lauferei machen wird!« antwortete er beinah zornig. »Diese junge Nachbarin, von der Sie erzählten, hat sich in ihrem Zimmer erhängt.«
    Ich schrie laut auf. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sich mir das Herz im Leibe umdrehte! Wir liefen auf den Flur hinaus. Ich muß gestehen, ich wagte es nicht, zu den Nachbarinnen hineinzugehen, und sah die Unglückliche erst später, als sie schon abgenommen war, und auch da, um die Wahrheit zu sagen, nur aus einiger Entfernung; sie war mit einem Laken zugedeckt, aus dem die beiden schmalen Sohlen ihrer Schuhe hervorsahen. So bekam ich ihr Gesicht gar nicht zu sehen. Die Mutter war in einem furchtbaren Zustand; bei ihr war unsere Wirtin, die übrigens nicht besonders erregt zu sein schien. Alle Untermieter drängten sich dort herum. Es waren ihrer nicht viele: nur ein bejahrter Seemann, der sich immer sehr brummig und anspruchsvoll benahm, jetzt jedoch ganz still geworden war, und ein altes auf der Reise befindliches Ehepaar aus dem Gouvernement Twer, sehr achtbare Leute aus dem Beamtenstand. Ich will den ganzen übrigen Teil dieser Nacht nicht beschreiben, das unruhige Treiben und dann die Besuche der amtlichen Personen; bis zum Morgengrauen wurde ich ein leichtes Zittern nicht los und hielt es für meine Pflicht, mich nicht wieder hinzulegen, obgleich ich eigentlich nichts tat. Auch alle andern hatten einen sehr munteren, ja sogar besonders angeregten Gesichtsausdruck. Wassin fuhr sogar irgendwohin weg. Die Wirtin erwiessich als eine recht achtbare Frau, weit mehr, als ich es erwartet

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