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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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bezahlten wir die Miete für einen Monat voraus, und dann kam eine Ausgabe nach der andern; Petersburg ist so scheußlich teuer, und unser Kaufmann weigerte sich rundweg, uns etwas zu bezahlen: ›Ich kenne Sie nicht und weiß von nichts‹, sagte er. Mein Dokument aber ist nicht ordnungsgemäß, das weiß ich selbst. Und da rieten mir die Leute: ›Gehen Sie zu dem berühmten Advokaten, der ist Professor gewesen, nicht so ein bloßer Advokat, sondern Jurist, der wird Ihnen gewiß sagen, was Sie tun müssen.‹ Ich trug ihm meine letzten fünfzehn Rubel hin; er empfing mich und hörte mich nicht drei Minuten lang an, dann sagte er: ›Ich seh schon, ich weiß schon‹, sagte er, ›wenn der Kaufmann will‹, sagte er, ›wird er es Ihnen zurückgeben, wenn er nicht will, wird er es nicht tun, und wenn Sie einen Prozeß anfangen, werden Sie womöglich noch die Kosten zu bezahlen haben; das beste ist, Sie vergleichen sich mit ihm.‹ Und dann machte er noch einen Scherz aus dem Evangelium: ›Seien Sie willfährig Ihrem Widersacher bald‹, sagt er, ›dieweil Sie noch bei ihm auf dem Wege sind; sonst werden Sie nicht von dannen herauskommen, bis Sie auch den letzten Heller bezahlt haben‹, begleitete mich bis an die Tür und lachte. Meine fünfzehn Rubel waren hin! Ich kam zu Olga zurück, wir saßen uns einander gegenüber, und ich fing an zu weinen. Sie weinte nicht; sie saß ganz stolz da und war empört. So ist sie von jeher gewesen, ihr ganzes Leben lang, sogar schon als kleines Kind; nie hat sie gestöhnt, nie geweint, sondern immer dagesessen und ein finsteres Gesicht gemacht, so daß mir ganz bange wurde, wenn ich sie ansah. Und werden Sie es glauben: ich habe Angst vor ihr gehabt, ordentlich Angst habe ich vor ihr gehabt, schon längst, und ich habe manchmal losweinen wollen, es aber in ihrer Gegenwart nicht gewagt. Ich ging nun zum letztenmal zu dem Kaufmann hin und vergoß bei ihm Ströme von Tränen: ›Schön‹, sagte er, ohne überhaupt hinzuhören. Dabei aber saßen wir, wie ich Ihnen bekennen muß, schon lange ohne Geld da, weil wir nicht damit gerechnet hatten,so lange von Hause weg zu sein. Ich fing an, nach und nach dieses und jenes von unseren Kleidern ins Leihhaus zu tragen; von dem Erlös für das Versetzte lebten wir dann. Alle unsere Sachen hatten wir schon versetzt; da gab sie mir ihre letzte Wäsche, und ich brach in bittere Tränen aus. Sie stampfte mit dem Fuß, sprang auf und lief selbst zu dem Kaufmann hin. Er ist Witwer und sagt zu ihr: ›Kommen Sie übermorgen um fünf Uhr, vielleicht kann ich Ihnen dann etwas Gutes sagen.‹ Als sie zurückkam, war sie ganz heiter geworden: ›Na‹, sagt sie, ›vielleicht wird er mir etwas Gutes sagen.‹ Nun, ich freute mich ebenfalls, aber ich hatte doch so ein Gefühl der Kälte ums Herz. ›Da steckt etwas dahinter‹, denke ich, aber ich wagte nicht, sie weiter zu fragen. Als sie zwei Tage darauf von dem Kaufmann zurückkommt, ist sie ganz blaß, zittert am ganzen Leib und wirft sich auf das Bett – ich verstand gleich alles und wagte nicht, sie zu fragen. Was meinen Sie: er hatte ihr fünfzehn Rubel angeboten, der Halunke, und hinzugefügt: ›Und wenn ich völlige Unschuld finde, gebe ich Ihnen noch vierzig Rubel.‹ Das hatte er ihr ins Gesicht gesagt, der schamlose Mensch. Sie hatte sich dann, erzählt sie mir, auf ihn gestürzt; aber er stieß sie zurück, flüchtete sich ins Nachbarzimmer und schloß sogar die Tür hinter sich zu. Und dabei hatten wir, das sage ich Ihnen auf mein Gewissen, fast nichts mehr zu essen. Wir trugen eine Jacke weg, sie war mit Hasenfell gefüttert, und verkauften sie, und dann ging sie nach der Zeitung und annoncierte, daß sie in allen Wissenschaften und im Rechnen Vorbereitungsunterricht gibt: ›Wenigstens dreißig Kopeken werde ich doch für die Stunde bezahlt bekommen‹, sagte sie. Und in der letzten Zeit, Mütterchen, bin ich über sie geradezu entsetzt gewesen: sie redet kein Wort mit mir, sitzt stundenlang am Fenster und blickt auf das Dach des Hauses gegenüber; dann auf einmal schreit sie: ›Meinetwegen Wäsche waschen, meinetwegen Erde graben!‹ Immer nur so ein paar Worte stößt sie heraus und stampft dabei mit dem Fuß. Und wir haben hier gar keine Bekannten, niemand, an den wir uns wenden könnten: ›Was wird aus uns werden?‹ denke ich. Aber mit ihr zu reden, davor fürchtete ich mich immer. Einmal hatte sie am Tage ein Weilchen geschlafen, wachte auf,öffnete die Augen und sah mich an;

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