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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hatte. Ich setzte ihr auseinander (und ich rechne mir das zur Ehre an), daß man die Mutter nicht so mit der Leiche der Tochter allein lassen könne und daß sie sie wenigstens bis morgen in ihr Zimmer herübernehmen müsse. Sie war sogleich damit einverstanden, und wie sehr sich die Mutter auch wehrte und weinte und sich weigerte, die Leiche zu verlassen, so ging sie schließlich doch zu der Wirtin hinüber, die sogleich den Samowar aufstellen ließ. Darauf verteilten sich auch die Untermieter in ihre Zimmer und machten die Türen zu, aber ich wollte mich trotzdem um keinen Preis hinlegen und saß noch lange bei der Wirtin, die sich sogar darüber freute, daß noch ein Dritter dabei war, der sogar seinerseits einige die Sache betreffende Mitteilungen machen konnte. Der Samowar leistete uns sehr gute Dienste, und überhaupt ist der Samowar in Rußland ein höchst notwendiges Requisit, namentlich bei allen Katastrophen und Unglücksfällen, besonders bei schrecklichen, plötzlichen und außergewöhnlichen; selbst die Mutter trank zwei Täßchen, natürlich erst nachdem wir sie lange gebeten und beinah mit Gewalt dazu gezwungen hatten. Und doch habe ich, wie ich aufrichtig sagen kann, niemals einen tieferen, bitteren Kummer gesehen als bei dieser unglücklichen Mutter. Nach den ersten Ausbrüchen von Schluchzen und Weinkrämpfen begann sie, sogar sehr bereitwillig zu reden, und ich hörte mit gespanntem Interesse ihre Erzählung an. Es gibt Unglückliche, namentlich unter den Frauen, die man in solchen Fällen soviel wie nur möglich reden lassen muß. Überdies gibt es Charaktere, die lange, ihr ganzes Leben hindurch, gelitten, die außerordentlich viel erduldet haben, sowohl großen Kummer als auch dauernden kleineren, und durch das Leid sozusagen schon ganz abgenutzt sind; sie erstaunen über nichts mehr, über keine plötzlichen Katastrophen, und – was die Hauptsache ist – vergessen sogar am Sarg eines geliebten Wesens nicht eine der so teuer erworbenen Regeln des dienstfertigen Umganges mit Menschen. Und ich verurteile sie nicht; das ist kein gemeiner Egoismus, nicht Mangel an Herzensbildung; in ihren Herzen findet sich sogar vielleicht mehr Gold als bei den anscheinend edelsten Heldinnen, aber dieGewöhnung an die lange Erniedrigung, der Instinkt der Selbsterhaltung, die stete Bedrückung und Furcht tun schließlich ihre Wirkung. Die arme Selbstmörderin hatte hierin mit ihrer Mutter keine Ähnlichkeit gehabt. In den Gesichtern waren sie übrigens, wie ich glaube, einander ähnlich, obgleich die Verstorbene ausgesprochen hübsch war. Die Mutter war noch gar nicht sehr alt, erst gegen fünfzig Jahre; sie hatte ebenso blondes Haar, aber eingesunkene Augen und Wangen und gelbe, große, ungleichmäßige Zähne. Überhaupt hatte alles an ihr eine gelbliche Färbung: die Haut im Gesicht und an den Händen sah wie Pergament aus, ihr dunkles Kleid war vor Alter ebenfalls ganz vergilbt, und der Nagel des rechten Zeigefingers war aus einem mir unverständlichen Grund sauber und sorgsam mit gelbem Wachs beklebt.
    Die Erzählung der armen Frau entbehrte an manchen Stellen des Zusammenhanges. Ich will sie so wiedergeben, wie ich sie selbst verstanden und im Gedächtnis behalten habe.

V
     
    Sie waren aus Moskau gekommen. Sie war schon lange Witwe, »aber Hofrätin«; ihr Mann war Beamter gewesen und hatte fast nichts hinterlassen »außer einer Pension von zweihundert Rubeln. Na, was sind zweihundert Rubel? Aber ich habe Olga doch gut erzogen und sie das Gymnasium besuchen lassen. Und wie sie gelernt hat, wie sie gelernt hat; eine silberne Medaille hat sie bekommen...« (Hier folgte natürlich ein langer Tränenerguß.) Ihr verstorbener Mann hatte bei einem hiesigen Petersburger Kaufmann ein Kapital eingebüßt, fast viertausend Rubel. Auf einmal war dieser Kaufmann wieder reich geworden; »ich habe Dokumente, fragte andere Leute um Rat, und man sagte mir: ›Strengen Sie nur einen Prozeß an, Sie werden bestimmt alles bekommen.‹ Ich nahm denn auch die Sache in Angriff; der Kaufmann zeigte einiges Entgegenkommen. ›Reisen Sie selbst hin!‹ sagte man mir. Ich machte mich also mit Olga auf. Vor einem Monat kamen wir hier an. Unsere Mittel waren nur sehr beschränkt; so nahmen wir uns denn dieses Zimmerchen, weil es das kleinstevon allen war und in einem anständigen Hause, das sahen wir selbst, und das war uns das Wichtigste: wir sind unerfahrene Frauen, uns kann jeder beleidigen und zu Schaden bringen. Na, Ihnen

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