Der Jüngling
begleitete ihn mit der Kerze auf die Treppe; der Wirt kam herbeigelaufen, aber ich packte ihn, ohne daß es Wersilow merkte, mit aller Kraft am Arm und stieß ihn heftig zurück. Er sah mich erstaunt an, verschwand aber sofort.
»Diese Treppen!« murmelte Wersilow, die Worte dehnend; er wollte offenbar nur etwas sagen und fürchtete offenbar, daß ich etwas sagen würde. »Diese Treppen! Ich bin nicht mehr daran gewöhnt, und du wohnst im dritten Stock. Übrigens, jetzt werde ich meinen Weg schon allein finden ... Bemühe dich nicht weiter, mein Lieber; du wirst dich noch erkälten.«
Aber ich verließ ihn nicht. Wir stiegen schon die zweite Treppe hinab.
»Ich habe Sie diese ganzen drei Tage erwartet«, sagte ich; die Worte fuhren mir plötzlich wie von selbst aus dem Mund, ich konnte kaum atmen.
»Ich danke dir, mein Lieber.«
»Ich wußte, daß Sie bestimmt kommen würden.«
»Und ich wußte, daß du weißt, daß ich bestimmt kommen würde. Ich danke dir, mein Lieber.«
Er verstummte. Wir waren schon bis zur Haustür gelangt, aber ich ging immer noch hinter ihm her. Er öffnete die Tür; der schnell hereinfahrende Wind löschte meine Kerze aus. Da ergriff ich plötzlich seine Hand; es war ganz dunkel. Er zuckte zusammen, aber er schwieg. Ich beugte mich zu seiner Hand herab und küßte sie leidenschaftlich, mehrere Male, viele Male.
»Mein lieber Junge, womit habe ich das verdient, daß du mich so liebst?« sagte er, aber seine Stimme hatte jetzt einen ganz anderen Klang. Die Stimme zitterte ihm; es lag in ihr ein neuer Ton, als ob gar nicht er es wäre, der da redete.
Ich wollte etwas erwidern, vermochte es aber nicht und lief nach oben. Er jedoch blieb immer noch auf demselben Fleck stehen, und erst als ich bei meiner Wohnung angelangt war, hörte ich, wie unten die Haustür geöffnet wurde und dann geräuschvoll zuschlug. An dem Wirt vorbei, der, ich weiß nicht warum, wieder auftauchte, schlüpfte ich in mein Zimmer, schloß mich ein und warf mich, ohne die Kerze wieder anzuzünden, auf mein Bett, mit dem Gesicht auf das Kissen, und – weinte, weinte! Es war seit der Zeit bei Touchard das erstemal, daß ich Tränen vergoß! Das Schluchzen brach aus mir mit unwiderstehlicher Kraft hervor, und ich fühlte mich so glücklich ... aber wozu soll ich das beschreiben!
Ich habe das jetzt niedergeschrieben, ohne mich zu schämen, weil das alles vielleicht trotz seiner Albernheit doch im Grunde gut war.
III
Aber er bekam von mir dafür seine Strafe! Ich wurde ein schrecklicher Despot. Selbstverständlich taten wir dieser Szene nachher nie wieder Erwähnung. Vielmehr verkehrten wir zwei Tage darauf bei einem neuen Zusammensein miteinander, als ob gar nichts geschehen wäre – ja noch mehr: ich war an diesem zweiten Abend beinah grob zu ihm, under benahm sich ebenfalls etwas trocken. Das geschah wieder in meiner Wohnung; aus einem mir selbst nicht recht verständlichen Grund ging ich meinerseits immer noch nicht zu ihm, obwohl ich sehr gern meine Mutter wiedergesehen hätte.
Wir redeten in dieser ganzen Zeit, das heißt in diesen ganzen zwei Monaten, nur von den abstraktesten Gegenständen. Und das wundert mich: wir taten nichts weiter, als daß wir uns über diese abstrakten, wenn auch natürlich allgemein menschlichen und sehr wichtigen Gegenstände unterhielten, aber mit unseren konkreten persönlichen Verhältnissen standen sie in gar keiner Beziehung. Und doch gab es da vieles, sehr vieles, dessen Besprechung und Klarlegung wünschenswert, ja sogar dringlich notwendig war, aber davon schwiegen wir. Ich sprach nicht einmal von meiner Mutter und von Lisa und ... na, natürlich auch nicht von mir selbst, von meiner ganzen Geschichte. Ob ich mich aus Schamgefühl so benahm oder aus einer Art von jugendlicher Dummheit – ich weiß es nicht. Ich nehme an, daß ich es aus Dummheit tat, denn über das Schamgefühl hätte ich doch hinwegkommen können. Aber ich tyrannisierte ihn furchtbar und verstieg mich mehrmals geradezu zur Unverschämtheit, sogar gegen meine eigene Herzensneigung; das geschah alles in einer unwiderstehlichen Weise ganz von selbst, ich war nicht imstande, mich selbst zu hemmen. Was aber ihn betrifft, so hatte sein Ton wie früher eine etwas spöttische Färbung, war jedoch trotz aller meiner Unarten immer sehr freundlich. Auffällig war mir auch, daß er es vorzog, selbst zu mir zu kommen, so daß ich schließlich nur sehr selten zu meiner Mutter kam, einmal in der Woche, nicht öfter,
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