Der Jüngling
unzerreißbare Bande.«
»Was soll man denn nun tun?«
»Ach, mein Gott, da brauchst du es noch nicht so eilig zu haben: das geht alles nicht so schnell. Überhaupt aber istdas allerbeste, nichts zu tun; wenigstens kann man sich dann mit ruhigem Gewissen sagen, daß man an nichts teilgenommen hat.«
»Ach, lassen Sie doch solche Reden, und sprechen Sie zur Sache! Ich möchte wissen, was ich tun und wie ich leben muß.«
»Was du tun mußt, mein Lieber? Sei ehrlich, lüge nie, begehre nie deines Nächsten Haus, kurz, sage dir die Zehn Gebote auf: da ist das alles für alle Ewigkeit verzeichnet.«
»Genug davon, hören Sie auf! Das sind ja alles so alte Dinge, und außerdem sind es – nur Worte; was aber nötig ist, ist eine Tat.«
»Na, wenn dich die Langeweile so sehr plagt, so bemühe dich, jemanden oder etwas liebzugewinnen oder auch nur einfach dich an irgend etwas zu hängen.«
»Sie machen sich nur über mich lustig! Und außerdem, was kann ich, ein einzelner Mensch, mit Ihren Zehn Geboten ausrichten?«
»Erfülle sie nur, trotz all deiner Fragen und Zweifel, und du wirst ein großer Mensch sein.«
»Ein Mensch, von dem niemand etwas weiß.«
»Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werden wird.«
»Ach, Sie treiben ja wirklich nur Ihren Scherz mit mir!«
»Nun, wenn du dir die Sache so zu Herzen nimmst, so ist das beste, du suchst dir so schnell wie möglich ein Spezialgebiet: werde Baumeister oder Advokat, und wenn du dann deine richtige, ernste Tätigkeit haben wirst, so wirst du dich beruhigen und die Torheiten vergessen.«
Ich schwieg: na, was konnte ich wohl daraus lernen? Und doch befand ich mich nach jedem derartigen Gespräch in noch größerer Aufregung als vorher. Außerdem sah ich klar, daß er immer ein Geheimnis für sich behielt; und gerade dies zog mich immer mehr und mehr zu ihm hin.
»Hören Sie«, unterbrach ich ihn bei einer Gelegenheit, »ich habe immer den Verdacht, daß Sie all das nur so äußerlich hinreden; weil Sie sich ärgern und leiden, daß Sie aber im geheimen, für sich, selbst der Fanatiker einer höherenIdee sind und das nur verbergen oder sich schämen, es zu bekennen.«
»Ich danke dir, mein Lieber.«
»Hören Sie, es gibt nichts Höheres, als nützlich zu sein. Sagen Sie, womit kann ich im gegebenen Augenblicke am nützlichsten sein? Ich weiß, daß es Ihnen nicht möglich ist, diese Frage endgültig zu beantworten, aber ich möchte auch nur Ihre Meinung kennenlernen: sagen Sie sie mir, und wie Sie sagen, so werde ich handeln, das schwöre ich Ihnen! Nun, worin liegt denn ein großer Gedanke?«
»Nun, Steine in Brot zu verwandeln – da hast du einen großen Gedanken.«
»Ist das der größte? Nein, wirklich, Sie haben mir da einen wirklichen Weg gezeigt; sagen Sie doch: ist das der größte?«
»Ein sehr großer, mein Freund, ein sehr großer, aber nicht der größte; groß, aber zweiten Ranges und nur im betreffenden Augenblick groß: der Mensch ißt sich satt und denkt dann nicht mehr daran, vielmehr sagt er sofort: »Na, nun habe ich mich satt gegessen, was soll ich jetzt tun?« Die Frage wird in alle Ewigkeit offenbleiben.«
»Sie sprachen einmal von den »Genfer Ideen«; ich habe nicht verstanden, was diese »Genfer Ideen« eigentlich sind.«
»Die Genfer Ideen, das ist die Tugend ohne Christus, mein Freund; das sind die jetzigen Ideen oder, richtiger gesagt, die Idee der ganzen jetzigen Zivilisation. Kurz, das ist eine jener langen Geschichten, von denen anzufangen eine sehr mißliche Sache ist, und es wird weit besser sein, wenn wir beide von etwas anderem reden, und noch besser, wenn wir von etwas anderem schweigen.«
»Sie wollen immer schweigen!«
»Mein Freund, denke daran, daß Schweigen gut, ungefährlich und schön ist.«
»Schön?«
»Allerdings. Das Schweigen ist immer schön, und der Schweigsame ist immer schöner als der Redende.«
»Ja, wenn man so redet wie wir beide miteinander, dann kommt es allerdings auf dasselbe hinaus, wie wenn man schweigt. Hol der Teufel diese Schönheit, und vor allen Dingen hol der Teufel diesen Nutzen!«
»Mein Lieber«, sagte er auf einmal zu mir in einem veränderten, besonders eindringlichen Ton, der sogar gefühlvoll klang. »Mein Lieber, ich beabsichtige durchaus nicht, dich von deinen Idealen zu irgendeiner spießbürgerlichen Tugend wegzulocken; ich suche dich nicht zu dem Glauben zu bekehren, daß Glück besser ist als Heldentum; im Gegenteil, Heldentum steht höher als jedes Glück,
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