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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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sind solche Anekdoten unentbehrlich. Diese Leute haben ihrer eine große Menge, und das ist bei ihnen in der Hauptsache die Folge ihrer Unmäßigkeit. Sie haben nichts gelernt, wissen nichts ordentlich; na, da möchten sie mal von etwas anderem reden als von Kartenspiel und ihrem Gewerbe, von etwas allgemein Menschlichem, Poetischem ... Was ist eigentlich dieser Pjotr Ippolitowitsch für ein Mensch?«
    »Ein ganz armer Mensch und sogar ein unglücklicher Mensch.«
    »Na, siehst du, dann spielt er vielleicht nicht einmal Karten? Ich wiederhole es: mit der Erzählung dieses törichten Zeugs tut er seiner Nächstenliebe Genüge: er wollte ja auch uns damit glücklich machen. Auch sein patriotisches Gefühl hat er damit befriedigt; so gibt es zum Beispiel noch eine Anekdote, daß die Engländer dem Fabrikanten Sawjalow eine Million geboten hätten, wenn er seine Fabrikate nicht mehr mit seiner Firmenmarke versehen würde.«
    »Ach Gott, ja, diese Anekdote habe ich auch gehört!«
    »Wer hätte sie nicht gehört? Und wenn er sie erzählt, so weiß er sogar ganz genau, daß du sie sicherlich schon gehört hast, aber er erzählt sie doch, indem er sich absichtlich einbildet, du hättest sie nicht gehört. Die Vision des Königs von Schweden – diese Geschichte scheint bei ihnen schon überholt zu sein; aber in meiner Jugend wurde sie noch mit dem größten Genuß und in geheimnisvollem Flüsterton erzählt, ganz ebenso wie die Geschichte, daß zu Anfang des Jahrhunderts jemand im Senat vor den Senatoren auf den Knien gelegen habe. Über den Kommandanten Baschuzkij gab es ebenfalls eine Menge Anekdoten, wie das Denkmal weggeschafft worden sei. Eine besondere Vorliebe haben sie für Anekdoten über Vorgänge bei Hofe; ich erwähne zum Beispiel die Erzählungen von dem Minister Tschernyschow unter der vorigen Regierung, wie er als siebzigjähriger Greis sein Äußeres so hergerichtet habe, daß er wie ein Mann von dreißig Jahren ausgesehen und der selige Kaiser sich bei den großen Empfängen immer über ihn gewundert habe ...«
    »Auch das habe ich gehört.«
    »Wer hätte es nicht gehört? Alle diese Anekdoten sind der Gipfel der Unordentlichkeit; aber du mußt wissen, daß dieser Typ von Unordentlichkeit viel tiefer sitzt und sogar viel weiter verbreitet ist, als wir denken. Die Lust zu schwindeln, um seinen Nächsten dadurch glücklich zu machen, triffst du sogar in unserer besten Gesellschaft, denn wir alle leiden an dieser Unmäßigkeit des Herzens. Nur gehören unsere Erzählungen einem anderen Gebiet an; was wird bei uns nicht allein schon über Amerika erzählt, das ist ja enorm, und sogar Staatsmänner tragen solche Erzählungen vor! Auch ich selbst gehöre, wie ich gestehen muß, zu diesem unordentlichen Typ und habe mein ganzes Leben darunter gelitten ...«
    »Die Geschichte von Tschernyschow habe ich selbst schon ein paarmal erzählt.«
    »Du hast sie selbst schon erzählt?«
    »Hier ist außer mir noch ein Untermieter, ein Beamter, ebenfalls pockennarbig und schon bejahrt, aber ein furchtbar prosaischer Mensch, und sowie Pjotr Ippolitowitsch zu erzählen beginnt, unterbricht er ihn sofort und widerspricht.Und er hat es dadurch so weit gebracht, daß dieser ihm wie ein Sklave dient und ihm alles zu Gefallen tut, nur damit er zuhört.«
    »Das ist wieder ein anderer Typ der Unordentlichkeit, und er ist sogar vielleicht häßlicher als der erste. Der erste ist ganz Begeisterung: »Laß mich nur schwindeln – du wirst sehen, wie gut es ausläuft!« Der zweite ist ganz Mißmut und Prosa: »Ich lasse mich nicht beschwindeln; wo, wann, in welchem Jahr hat es sich zugetragen?« Kurz, ein Mensch ohne Herz. Mein Freund, laß deinen Nächsten nur immer ein bißchen schwindeln – das ist ein harmloses Vergnügen. Laß ihn sogar viel schwindeln! Erstens beweist du damit dein Zartgefühl, und zweitens lassen andere zum Dank dafür dich ebenfalls schwindeln – zwei gewaltige Vorteile auf einmal. Que diable, man muß seinen Nächsten lieben. Aber es ist Zeit, daß ich aufbreche. Du hast dich sehr nett eingerichtet«, fügte er, sich vom Stuhle erhebend, hinzu. »Ich werde Sofja Andrejewna und deiner Schwester erzählen, daß ich hiergewesen bin und dich bei guter Gesundheit angetroffen habe. Auf Wiedersehen, mein Lieber!«
    Wie, war das wirklich alles? Aber das war ja gar nicht das, was ich brauchte; ich hatte etwas anderes erwartet, die Hauptsache , obgleich ich vollkommen einsah, daß es gar nicht anders sein konnte. Ich

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