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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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du?«
    »Mehr über die Engländer, Durchlaucht; die wollen doch einen unmäßigen Preis nehmen, weil der russische Beutel dick ist und sie zu Hause nichts zu essen haben. Wenn Sie hundert Rubel aussetzen wollen, Durchlaucht, dann schaffen wir bis morgen abend das Steinchen weg.«
    Na, was sagen Sie zu einem solchen Vorschlag? Die Engländer hätten ihn natürlich vor Wut am liebsten aufgefressen; Montferrand lachte; aber diese Durchlaucht mit dem russischen Herzen sagte: »Man gebe ihm hundert Rubel! Aber wirst du ihn auch wirklich fortschaffen?«
    »Morgen gegen Abend sind wir damit fertig, Durchlaucht.«
    »Aber wie wirst du es denn anfangen?«
    »Das ist nun schon, wenn Euer Durchlaucht es nicht übelnehmen wollen, unser Geheimnis«, sagte er, und, wissen Sie, er sagte das in so einer echt russischen Art. Dem hohen Herrn gefiel das: »Man gebe ihm alles, was er verlangt!« befahl er. Na, da überließ man ihn nun sich selbst. Und was meinen Sie, was er tat?«
    Der Wirt machte eine Pause und ließ seine gerührten Blicke von einem zum andern gehen.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Wersilow lächelnd. Ich machte ein sehr finsteres Gesicht.
    »Nun, dann hören Sie, was er tat!« sagte der Wirt in einem solchen triumphierenden Ton, als hätte er es selbstausgeführt: »Er holte sich Bauern mit Spaten, ganz einfache russische Bauern, und ließ sie dicht bei dem Stein, ganz nahe an seinem Rand, eine Grube graben; die ganze Nacht über gruben sie; eine gewaltige Grube stellten sie her, genau von der Größe des Steins, nur noch einen Werschok tiefer, und als sie die Grube fertiggegraben hatten, da befahl er ihnen, ganz allmählich und behutsam die Erde unter dem Stein selbst wegzugraben. Na, natürlich, als sie die weggruben, da hatte der Stein keine rechte Unterlage mehr, und das Gleichgewicht kam ins Wanken; und als nun das Gleichgewicht ins Wanken kam, da stemmten sie sich von der andern Seite alle mit den Armen gegen den Stein, so mit Hurra, auf russische Art: und bautz! fiel der Stein in die Grube! Dann schaufelten sie Erde darüber, stampften sie mit Rammen fest, pflasterten mit kleinen Steinen – und alles sah glatt aus, der Stein war verschwunden!«
    »Nun denken Sie mal an!« sagte Wersilow.
    »Na, und eine Menge Volks lief da zusammen, eine Menge Volks, nicht zu zählen! Diese Engländer hatten schon längst erraten, wie es zugehen würde, und waren nun wütend. Montferrand kam herbei: »Das ist auf Bauernart gemacht«, sagte er, »gar zu einfach!« Aber das war ja eben der Witz, daß es so einfach war, und ihr wart nicht darauf verfallen, ihr Dummköpfe! Und ich kann Ihnen sagen, dieser hohe Chef, dieser vornehme Beamte, umarmte und küßte ihn: »Wo bist du denn her, du kluger Kerl?« fragte er. – »Aus dem Gouvernement Jaroslawl, Durchlaucht; ich bin meinem Handwerk nach eigentlich Schneider, im Sommer aber komme ich nach der Hauptstadt und handle mit Obst.« Na, die Sache gelangte zur Kenntnis der Obrigkeit, und die Obrigkeit befahl, ihm eine Medaille umzuhängen; so ging er denn mit der Medaille um den Hals umher, aber dann trank er sich zu Tode, wie man sagt; wissen Sie, der Russe kann sich eben nicht beherrschen! Daher saugen uns auch bis auf den heutigen Tag die Ausländer aus, jawohl, so ist das!«
    »Ja, gewiß, der russische Verstand ...«, begann Wersilow.
    Aber hier wurde der Erzähler von seiner kranken Frauabgerufen und lief glücklicherweise davon, denn ich hätte mich sonst nicht mehr halten können.
    Wersilow lachte.
    »Mein Lieber, er hat mich vor deiner Ankunft schon eine ganze Stunde lang amüsiert. Dieser Stein ... das alles ist ein typisches Beispiel von verkehrtem Patriotismus, aber wie kann man ihn unterbrechen? Du hast es ja selbst gesehen, wie er vor Wonne geradezu zerschmolz. Und außerdem liegt, glaube ich, dieser Stein noch jetzt da, wenn ich mich nicht irre, und ist nie in einer Grube vergraben worden ...«
    »Ach, mein Gott!« rief ich, »das ist ja wahr! Wie durfte er dann so etwas erzählen! ...«
    »Was ist dir? Du scheinst ja ganz aufgebracht zu sein. Laß nur gut sein! Er hat da tatsächlich etwas verwechselt; ich habe eine derartige Erzählung von einem Stein schon in meiner Kindheit gehört, nur lautete sie natürlich etwas anders und bezog sich nicht auf diesen Stein. Ich bitte dich: »Die Sache gelangte zur Kenntnis der Obrigkeit.« Sein ganzes Herz schwamm ja in Entzücken bei diesem »gelangte zur Kenntnis der Obrigkeit«. Für diese klägliche Sorte von Menschen

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