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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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flüchtigen Blick nach der Wanduhr. Wersilow stand auf und griff nach seinem Hut:
    »Deutlich werden!« sagte er. »Nein, es ist schon besser, nicht deutlich zu werden, und überdies ist es eine besondere Passion von mir, undeutlich zu reden. Wahrhaftig, so ist es. Und dann noch eine Seltsamkeit: wenn ich gelegentlich anfange, einen Gedanken, den ich für richtig halte, deutlich zu machen, so passiert es mir fast immer, daß ich am Ende meiner Auseinandersetzung selbst nicht mehr an meine These glaube; ich fürchte, es würde mir auch jetzt so gehen. Auf Wiedersehen, teurer Fürst: ich komme bei Ihnen immer in unverzeihlicher Weise ins Plaudern.«
    Er ging hinaus, der Fürst gab ihm höflich das Geleit; ich aber fühlte mich gekränkt.
    »Warum machen Sie denn ein so finsteres Gesicht?« fragte er plötzlich kurz und heftig, indem er, ohne mich anzusehen, an mir vorbei zu seinem Schreibpult ging.
    »Ich mache ein finsteres Gesicht«, begann ich mit einem Zittern in der Stimme, »weil ich in Ihrem Ton mir undsogar Wersilow gegenüber eine so seltsame Veränderung wahrnehme, ich ... Natürlich, Wersilow redete anfangs vielleicht ein bißchen rückschrittlich, aber dann korrigierte er sich doch, und ... in seinen Worten lag vielleicht ein tiefer Gedanke, aber Sie haben ihn einfach nicht verstanden und ...«
    »Ich kann es einfach nicht leiden, daß sich jemand erdreistet, mich zu belehren, und mich für einen dummen Jungen hält!« erwiderte er scharf, beinahe zornig.
    »Fürst, solche Ausdrücke ...«
    »Bitte, ohne theatralisches Wesen – tun Sie mir den Gefallen! Ich weiß, daß das, was ich tue, gemein ist, daß ich ein Verschwender, ein Spieler, vielleicht sogar ein Dieb bin ... jawohl, ein Dieb, denn ich verspiele das Geld meiner Familie; aber ich wünsche durchaus nicht, daß sich jemand zu meinem Richter aufwirft. Ich will es nicht und dulde es nicht. Ich bin selbst mein eigener Richter. Und wozu diese versteckten Anspielungen? Wenn er mir Vorhaltungen machen wollte, so mochte er frei und offen reden, aber nicht im Prophetenton mir so einen nebelhaften Unsinn vorpredigen. Aber um mir Vorhaltungen zu machen, müßte er ein Recht besitzen und müßte selbst ein ehrenhafter Mensch sein ...«
    »Erstens habe ich den Anfang Ihres Gespräches nicht gehört und weiß nicht, worüber Sie redeten, und zweitens, gestatten Sie die Frage: inwiefern ist denn Wersilow kein ehrenhafter Mensch?«
    »Genug davon, ich bitte Sie, genug davon! Sie haben mich gestern um dreihundert Rubel gebeten, da sind sie ...« Er legte das Geld vor mir auf den Tisch, setzte sich selbst auf einen Lehnstuhl, legte sich nervös gegen die Lehne zurück und schlug ein Bein über das andere. Ich stand einigermaßen verwirrt da.
    »Ich weiß nicht ...«, murmelte ich, »ich habe Sie zwar darum gebeten ... und ich brauche das Geld jetzt sehr notwendig, aber im Hinblick auf diesen Ton möchte ich doch ...«
    »Ach, lassen Sie den Ton! Wenn ich ein bißchen scharf gesprochen habe, so bitte ich um Entschuldigung. Ich versichere Ihnen, daß ich ganz andere Gedanken im Kopfhabe. Hören Sie mal zu: ich habe einen Brief aus Moskau bekommen; mein Bruder Sascha – Sie wissen, er war noch ein Kind – ist vor vier Tagen gestorben. Mein Vater ist, wie Sie gleichfalls wissen, schon seit zwei Jahren gelähmt, und jetzt ist es mit ihm, wie man mir schreibt, noch schlechter geworden; er kann kein Wort mehr sprechen und erkennt niemanden. Die Meinigen haben sich dort über die Erbschaft sehr gefreut und möchten den Kranken nach einem ausländischen Kurort bringen; aber der Arzt schreibt mir, er habe kaum noch vierzehn Tage zu leben. Folglich bleiben meine Mutter, meine Schwester und ich zurück, und somit bin ich jetzt fast der einzige ... Na, kurz gesagt, ich bin der einzige ... Diese Erbschaft ... diese Erbschaft – oh, vielleicht wäre es das beste gewesen, wenn sie mir gar nicht zugefallen wäre! Aber was ich Ihnen sagen wollte: ich habe von dieser Erbschaft Andrej Petrowitsch als Minimum zwanzigtausend Rubel versprochen ... Aber stellen Sie sich vor, ich habe wegen der erforderlichen Formalitäten bisher noch nichts tun können. Ich bin sogar ... das heißt, wir ... das heißt, mein Vater ist noch nicht in den Besitz der Erbschaft eingewiesen worden. Und dabei habe ich in den letzten drei Wochen so enorm viel Geld verloren, und dieser Schurke, der Stebelkow, nimmt so gewaltige Prozente ... Ich habe Ihnen jetzt beinahe mein letztes Geld gegeben ...«
    »Aber

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