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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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erstaunt.
    »Gleich!« sagte der Fürst zu ihm, ohne ihn zu begrüßen, drehte ihm den Rücken zu und begann, aus dem Schreibpult die erforderlichen Papiere und Rechnungen herauszunehmen. Was mich betrifft, so fühlte ich mich durch die letzten Worte des Fürsten entschieden beleidigt; die Anspielung auf Wersilows Unehrenhaftigkeit war so deutlich (und so erstaunlich!), daß ich nicht weggehen konnte, ehe die Sache nicht vollständig aufgeklärt war. Aber in Stebelkows Gegenwart war eine Auseinandersetzung unmöglich. Ichwarf mich wieder auf das Sofa hin und schlug ein vor mir liegendes Buch auf.
    »Belinskij, zweiter Teil! Das ist ja etwas ganz Neues: Sie wollen sich bilden?« rief ich dem Fürsten zu; mein Ton mochte wohl sehr gekünstelt klingen.
    Er war sehr beschäftigt und hatte es eilig, aber auf meine Worte hin wandte er sich plötzlich um:
    »Ich bitte Sie, lassen Sie das Buch liegen!« sagte er scharf.
    Das ging nun doch zu weit, und besonders in Stebelkows Gegenwart! Zu meiner Empörung grinste Stebelkow auch noch in seiner listigen, widerwärtigen Weise und deutete mir verstohlen mit einer Kopfbewegung nach dem Fürsten hin. Ich wandte mich von dem dummen Menschen ab.
    »Ärgern Sie sich nicht, Fürst«, sagte ich, »ich trete Sie der Hauptperson ab und mache mich unterdessen ganz klein ...«
    Ich hatte mich für ein zwangloses Benehmen entschieden. »Die Hauptperson, das soll wohl ich sein?« fing Stebelkow meine Bemerkung auf und zeigte vergnügt mit dem Finger auf sich.
    »Jawohl, Sie; Sie sind in der Tat die Hauptperson und wissen das auch selbst!«
    »Nein, erlauben Sie! Es gibt in der Welt überall eine zweite Person. Ich bin eine solche zweite Person. Es gibt eine erste Person, und es gibt eine zweite Person. Die erste Person handelt, und die zweite Person nimmt. Dadurch wird die zweite Person die erste und die erste Person die zweite. Ist's nicht so?«
    »Vielleicht ist es so; nur verstehe ich Sie wie gewöhnlich nicht.«
    »Erlauben Sie! In Frankreich war die Revolution, und alles wurde geköpft. Da kam Napoleon und nahm alles. Die Revolution war die erste Person und Napoleon die zweite Person. Und das Resultat war, daß Napoleon die erste Person wurde und die Revolution die zweite. Ist's nicht so?«
    Ich bemerke beiläufig: darin, daß er mir gegenüber von der Französischen Revolution zu reden anfing, erblickte ich ein Beispiel seiner schon oft bewiesenen Schlauheit, die mich immer sehr amüsierte: er betrachtete mich immer noch alseinen Revolutionär und hielt es jedesmal, wenn er mit mir zusammenkam, für nötig, von irgend etwas Derartigem zu reden.
    »Kommen Sie!« sagte der Fürst. Sie gingen beide in ein anderes Zimmer. Als ich allein geblieben war, beschloß ich endgültig, ihm seine dreihundert Rubel zurückzugeben, sobald Stebelkow weggegangen sein würde. Ich hatte dieses Geld äußerst nötig, faßte aber dennoch diesen Entschluß.
    Sie blieben dort ungefähr zehn Minuten lang, ohne daß etwas zu hören gewesen wäre; dann aber fingen sie auf einmal an, laut zu reden. Sie sprachen beide zugleich, aber der Fürst begann plötzlich, in starker, bis zur Wut gesteigerter Erregung zu schreien. Er war überhaupt manchmal sehr auffahrend, so daß auch ich hatte Nachsicht üben müssen. Aber gerade in diesem Augenblick trat ein Diener herein, um jemand anzumelden; ich wies ihn nach dem Zimmer, wo sie waren, und dort wurde es augenblicklich ganz still. Der Fürst kam schnell heraus, mit sorgenvollem Gesicht, aber doch mit einem Lächeln; der Diener lief hinaus, und eine halbe Minute darauf trat der Gast des Fürsten ins Zimmer.
    Es war dies ein sehr vornehmer Gast, mit Achselschnüren und Monogramm, ein Herr von nicht mehr als dreißig Jahren; sein Äußeres zeigte, daß er zur vornehmsten Gesellschaft gehörte, und hatte zugleich etwas Ernstes, Gemessenes. Ich möchte den Leser darauf aufmerksam machen, daß Fürst Sergej Petrowitsch immer noch nicht richtig zur höchsten Petersburger Gesellschaft gehörte, obwohl er das leidenschaftlich wünschte (dieser sein Wunsch war mir bekannt), und daß er daher auf diesen Besuch den höchsten Wert legen mußte. Diese Bekanntschaft anzuknüpfen war, wie ich wußte, dem Fürsten erst kürzlich nach vielen Bemühungen seinerseits gelungen; der Gast machte jetzt seine Visite, aber unglücklicherweise zu einer Zeit, wo es dem Fürsten sehr ungelegen kam. Ich sah, mit welcher Qual und mit was für einem ratlosen Blick der Fürst sich einen Augenblick nach

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