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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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in rechtlicher Beziehung Gleichheit. So ist es auch bei uns geschehen, und das ist sehr schön. Aber nach allen bisherigen Erfahrungen hat überall (das heißt in Westeuropa) bei der Ausgleichung der Rechte ein Sinken des Ehrgefühls stattgefunden und damit auch ein Sinken des Pflichtgefühls. Der Egoismus trat an die Stelle der früheren festigenden Idee, und alles zerfiel zu persönlicher Freiheit. Die Befreiten, die nun des festigenden Gedankens entbehrten, verloren schließlich dermaßen jedes höhere Band, daß sie sogar die empfangene Freiheit zu verteidigen aufhörten. Aber der russische Adelstyp hat mit dem westeuropäischen niemals Ähnlichkeit gehabt. Unser Adel könnte auch jetzt noch, nach Verlust seiner Vorrechte, der höchste Stand bleiben, in der Gestalt eines Beschirmers der Ehre, der Bildung, der Wissenschaft und der höheren Idee und, was die Hauptsache ist, ohne sich nun noch als eine besondere Kaste abzuschließen, was der Tod der Idee sein würde. Vielmehr steht die Tür zu diesem Stand bei uns schon lange offen; jetzt aber ist die Zeit gekommen, sie endgültig aufzutun. Möge jede große Tat der Ehre, der Wissenschaft und des Heldenmutes bei uns einem jeden das Recht geben, sich der obersten Volksschicht anzuschließen. Auf diese Weise wirdsich dieser Stand ganz von selbst in eine Vereinigung der Besten verwandeln, der Besten im buchstäblichen, wahren Sinne des Wortes und nicht in dem früheren Sinne einer privilegierten Kaste. In dieser neuen oder, richtiger gesagt, erneuerten Gestalt könnte dieser Stand sich behaupten.«
    Der Fürst grinste spöttisch:
    »Was wird denn das dann für ein Adel sein? Was Sie da projektieren, ist eine Art von Freimaurerloge, aber kein Adel.«
    Ich wiederhole, der Fürst war furchtbar ungebildet. Ich drehte mich vor Ärger auf dem Sofa herum, obgleich ich mit Wersilow nicht ganz übereinstimmte. Wersilow merkte es sehr wohl, daß der Fürst ihm die Zähne zeigte.
    »Ich weiß nicht, in welchem Sinne Sie von der Freimaurerei gesprochen haben«, antwortete er, »wenn aber sogar ein russischer Fürst von einer solchen Idee nichts wissen will, so ist ihre Zeit offenbar noch nicht gekommen. Die Idee der Ehre und der Aufklärung als Devise eines jeden, der in diesen sich nicht abschließenden, sondern sich beständig erneuernden Stand eintreten will, ist allerdings eine Utopie, aber warum sollte sie schlechterdings unmöglich sein? Wenn dieser Gedanke auch nur in einigen Köpfen lebt, so ist er noch nicht untergegangen, sondern leuchtet wie ein Lichtpünktchen in tiefer Dunkelheit.«
    »Sie gebrauchen mit Vorliebe Ausdrücke wie ›ein höherer Gedanke‹, ›ein großer Gedanke‹, ›eine festigende Idee‹ und so weiter; ich möchte gern wissen, was Sie eigentlich unter dem Ausdruck ›ein großer Gedanke‹ verstehen.«
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll, mein lieber Fürst«, erwiderte Wersilow mit einem feinen Lächeln. »Wenn ich Ihnen bekenne, daß ich selbst nicht darauf zu antworten verstehe, so wird das das richtigste sein. Ein großer Gedanke, das ist meistens ein Gefühl, das manchmal sehr lange undefinierbar bleibt. Ich weiß nur, daß ein solches Gefühl immer die Quelle gewesen ist, der das lebendige Leben entströmte, das heißt nicht das intellektuelle, künstlich erdachte, sondern vielmehr das vergnügliche, heitere; so daß die höhere Idee, aus der es entströmt, entschieden notwendig ist, natürlich zum allgemeinen Ärger.«
    »Warum zum Ärger?«
    »Weil mit Ideen zu leben langweilig ist, ohne Ideen aber immer vergnüglich.«
    Der Fürst schluckte die Pille.
    »Aber was ist denn das für ein lebendiges Leben nach Ihrer Ansicht?« (Er war augenscheinlich erbost.)
    »Das weiß ich ebenfalls nicht, Fürst; ich weiß nur, daß es etwas überaus Einfaches sein muß, das Allergewöhnlichste, offen Daliegende, das Alltäglichste, etwas, das so einfach ist, daß wir gar nicht glauben können, daß es so einfach ist, und natürlich schon viele tausend Jahre daran vorbeigehen, ohne es zu bemerken und ohne es zu erkennen.«
    »Ich wollte nur sagen, daß Ihre Idee des Adels gleichzeitig eine Negation des Adels ist«, sagte der Fürst.
    »Nun, wenn Sie mich in die Enge treiben, so muß ich sagen, daß ein Adel bei uns vielleicht überhaupt nie existiert hat.«
    »All das ist furchtbar dunkel und unklar. Wenn man redet, dann muß man meiner Ansicht nach auch deutlich werden ...«
    Der Fürst runzelte die Stirn und warf einen

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