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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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die bloße Herzensdummheit einen Menschen zu solcher Unvernunft und Erniedrigung führen? Ich nahm Geld von ihm an und meinte, das wäre nichts Schlimmes, das müsse so sein. Übrigens so verhielt es sich doch nicht: ich wußte auch damals, daß das nicht in der Ordnung war, aber - ich machte mir einfach nicht viele Gedanken darüber. Ich ging nicht des Geldes wegen zu ihm, obgleich ich das Geld furchtbar nötig hatte. Ich wußte, daß ich nicht des Geldes wegen hinging, aber ich sah, daß ich mir jeden Tag Geld holte. Ich befand mich eben in dem Strudel, und außer alledem war damals meine Seele noch von etwas ganz anderem erfüllt – es sang und klang etwas in meiner Seele.
    Als ich um elf Uhr vormittags eintraf, fand ich Wersilow anwesend, der gerade eine lange Tirade beendete; der Fürst hörte, im Zimmer auf und ab gehend, zu, während Wersilow saß. Der Fürst schien etwas erregt zu sein. Wersilow brachte es fast immer fertig, ihn in Erregung zu versetzen. Der Fürst hatte ein außerordentlich sensibles Wesen; das ging bis zu einer Naivität, die mich in vielen Fällen veranlaßte, ihn von oben herab anzusehen. Aber ich wiederhole: in den letzten Tagen machte er den Eindruck, als wolle er vor Bosheit die Zähne fletschen. Als er mich erblickte, blieb er stehen, und seine Gesichtsmuskeln verzogen sich. Ich wußte im stillen, wie ich mir diesen Schatten an diesem Morgen zu erklären hatte, aber ich hatte nicht erwartet, daßsich sein Gesicht in einem solchen Maß verzerren würde. Es war mir bekannt, daß sich bei ihm allerlei Sorgen angesammelt hatten, aber das Dumme war dabei, daß ich nur den zehnten Teil derselben kannte – das übrige war für mich damals noch ein vollständiges Geheimnis. Dumm und ärgerlich aber war dies deshalb, weil ich es oft unternahm, ihn zu trösten und ihm Ratschläge zu geben, und mich sogar von oben herab über seine Schwachheit lustig machte, mit der er »um solcher Bagatellen willen« außer sich geriet. Er pflegte dazu zu schweigen, aber sicherlich hat er mich in solchen Augenblicken schrecklich gehaßt; ich befand mich in einer ganz falschen Lage, ohne es im entferntesten zu ahnen. Oh, ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich von der Hauptsache keine Ahnung hatte!
    Er reichte mir jedoch höflich die Hand. Wersilow nickte mir zu, ohne sich im Reden zu unterbrechen. Ich rekelte mich auf das Sofa hin. Was hatte ich überhaupt damals für einen Ton und für Manieren an mir! Ich erlaubte mir sogar noch Schlimmeres: ich behandelte seine Bekannten, als ob sie die meinigen wären... Oh, wenn es möglich wäre, all dies jetzt noch umzuändern, wie anders würde ich mich zu benehmen verstehen!
    Noch zwei Worte, damit ich es nicht vergesse: der Fürst wohnte damals immer noch in derselben Wohnung, aber er hatte nun fast alle Räume derselben inne; die Besitzerin der Wohnung, Frau Stolbejewa, war nur einen Monat dageblieben und dann wieder weggereist.

II
     
    Sie sprachen über den Adel. Ich bemerke, daß diese Idee den Fürsten manchmal sehr aufregte, trotz all seiner scheinbaren progressiven Gesinnung, und ich vermute sogar, daß viel Schlechtes in seinem Leben auf dieser Idee beruhte und daraus hervorging; da er auf seinen Fürstenstand großen Wert legte und dabei ganz arm war, warf er sein ganzes Leben lang aus falschem Stolz mit dem Geld nur so um sich und stürzte sich in Schulden. Wersilow hatte ihm schon mehrmals angedeutet, daß darin das Wesen des Fürstenstandes nicht bestehe, und ihm einen höheren Begriff davonbeizubringen versucht; aber der Fürst schien sich schließlich dadurch verletzt zu fühlen, daß ihn jemand belehren wollte. Anscheinend fand auch an diesem Morgen ein derartiges Gespräch statt, aber ich hatte den Anfang nicht gehört. Was Wersilow sagte, machte mir zunächst den Eindruck, als sei er sehr rückschrittlich, aber dann korrigierte er sich.
    »Das Wort Ehre bedeutet Pflicht«, sagte er (ich gebe nur den Sinn wieder, soweit ich ihn im Gedächtnis behalten habe). »Wenn in einem Staat ein bevorzugter Stand herrscht, so ist das betreffende Land stark. Ein bevorzugter Stand hat immer seine besondere Ehre und seinen besonderen Ehrenkodex, der auch falsch sein kann, aber doch fast immer als Bindemittel dient und das Land stark macht; er ist in moralischer Hinsicht nützlich, aber noch mehr in politischer. Es leiden aber unter diesem Zustand die Sklaven, das heißt alle, die nicht zu dem bevorzugten Stand gehören. Damit sie nicht leiden – gewährt man ihnen

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