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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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›Student‹ ausgeben, dann sind Sie wirklich nett und originell. Andere Rollen scheinen Ihnen weniger zu liegen«, fügte sie mit einem reizenden, listigen Lächeln hinzu. »Sie erinnern sich, wir haben manchmal stundenlang nur von Zahlen gesprochen, gerechnet und abgemessen und uns Sorgen darum gemacht, wieviel Schulen es bei uns gibt, und welche Richtung die Bildung bei uns nimmt. Wir zählten die Mordtaten und sonstigen Kriminalverbrechen und verglichen sie mit den guten Nachrichten ... wir wollten wissen, wohin das alles strebt und was schließlich aus uns selbst wird. Ich habe in Ihnen einen aufrichtigen Menschen gefunden. In der vornehmen Gesellschaft spricht man mit uns Frauen niemals so. In der vorigen Woche knüpfte ich mit dem Fürsten ***ew ein Gespräch über Bismarck an, weil ich mich dafür sehr interessierte und ich nicht imstande war, allein darüber ins klare zu kommen, und denken Sie sich, er setzte sich neben mich und begann mir die Sache auseinanderzusetzen, sogar sehr eingehend, aber mit einer ironischen Färbung und mit jener mir unerträglichen Herablassung, mit der die ›Herren der Schöpfung‹ gewöhnlich mit uns Frauen reden, wenn wir uns um Dinge kümmern, die uns ihrer Meinung nach nichts angehen ... Und wissen Sie noch, wie Sie und ich einmal über Bismarck beinah ins Zanken gekommen wären? Sie erklärten mir, Sie hätten eine eigene Idee, die ›viel anständiger‹ sei als die Bismarcks«, sagte sie und lachte plötzlich auf. »Ich bin in meinem Leben nur zwei Männern begegnet, die mit mir ganz ernsthaft gesprochen haben: das war mein verstorbener Mann, ein sehr, sehr kluger und ... vor-neh-mer Mensch«, sagte sie mit starkem Nachdruck, »und dann noch – Sie wissen selbst, wer der zweite war ...«
    »Wersilow!« rief ich. Ich lauschte atemlos auf jedes ihrer Worte.
    »Ja, ich hörte ihn sehr gern reden; ich wurde im Umgang mit ihm zuletzt ganz offenherzig ... vielleicht zu offenherzig, aber gerade dann glaubte er mir nicht!«
    »Er glaubte Ihnen nicht?«
    »Nein, und es hat mir ja überhaupt nie jemand geglaubt.«
    »Aber Wersilow, Wersilow!«
    »Nicht genug, daß er mir nicht glaubte«, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen und mit einem seltsamen Lächeln, »er meinte auch, in mir steckten ›alle möglichen Laster‹.«
    »Von denen Sie doch kein einziges besitzen!«
    »Doch, auch ich habe welche.«
    »Wersilow hat Sie nicht geliebt; daher hat er Sie auch nicht verstanden!« rief ich mit blitzenden Augen.
    Es zuckte etwas in ihrem Gesicht.
    »Lassen Sie diesen Gegenstand, und reden Sie nie wieder zu mir von ... von diesem Menschen ...«, sagte sie erregt und mit großer Heftigkeit. »Aber nun genug; es ist Zeit, daß ich gehe.« (Sie stand auf, um fortzugehen.) »Nun, wie ist's? Verzeihen Sie mir oder nicht?« sagte sie und sah mich dabei mit klarem Blick an.
    »Ich ... Ihnen ... verzeihen! Hören Sie, eine Frage, Katerina Nikolajewna, und seien Sie darüber nicht böse: ist es wahr, daß Sie heiraten werden?«
    »Das ist noch ganz unentschieden«, antwortete sie verlegen und anscheinend erschrocken.
    »Ist er ein guter Mensch? Verzeihen Sie mir diese Frage, verzeihen Sie sie mir!«
    »Ja, ein sehr guter Mensch ...«
    »Antworten Sie nicht weiter, würdigen Sie mich keiner Antwort mehr! Ich weiß ja, daß solche Fragen von meiner Seite eine Unmöglichkeit sind! Ich wollte nur wissen, ob er Ihrer würdig ist, aber ich werde mich selbst über ihn erkundigen.«
    »Ach, ich bitte Sie!« rief sie erschrocken.
    »Also dann werde ich es nicht tun, ich werde es nicht tun. Ich werde nichts unternehmen ... Nur das will ich Ihnen noch sagen: möge Ihnen Gott jedes Glück geben, jedes Glück, das Sie sich wünschen ... zum Lohn dafür, daß Sie selbst mir jetzt in dieser einen Stunde soviel Glück gegeben haben! Sie haben mir jetzt Ihr Bild für allezeit ins Herz geprägt. Ich habe einen Schatz erworben: den Gedanken an Ihre Vollkommenheit. Ich argwöhnte Hinterlist und plumpe Koketterie und war unglücklich ... weil ich diesen Gedankennicht mit Ihrem Bild vereinigen konnte ... in den letzten Tagen habe ich Tag und Nacht darüber nachgedacht, und nun auf einmal wird alles klar wie der Tag! Als ich hier eintrat, glaubte ich Jesuitismus, Hinterlist, eine spionierende Schlange zu finden; aber ich fand ein ehrenhaftes, prächtiges Wesen, einen Studenten! ... Sie lachen? Es tut nichts, Sie sind ja eine Heilige; Sie können nicht über das lachen, was heilig ist ...«
    »O nein, ich lache

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