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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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auf einmal um sie alle weh! ›Was haben sie doch alle für harte Herzen! Ja, und Lisa, was mit der nur sein mag?‹ dachte ich, während ich die Stufen zur Haustür hinaufstieg.
    Ich entließ Matwej mit dem Befehl, mich um neun Uhr von meiner Wohnung abzuholen.

Fünftes Kapitel
     
I
     
    Ich kam zu spät zum Mittagessen, aber sie hatten auf mich gewartet und sich noch nicht hingesetzt. Es waren sogar, weil ich nur selten bei ihnen zu Mittag aß, ein paar Extragerichte zubereitet worden: es gab Sardinen als Vorgericht und dergleichen mehr. Aber zu meiner Verwunderung und Betrübnis fand ich sie alle in sorgenvoller, düsterer Stimmung: Lisa lächelte kaum, als sie mich erblickte, und Mama befand sich offenbar in starker Unruhe; Wersilow lächelte zwar, aber nur gezwungen. ›Ob sie sich am Ende gezankt haben?‹ dachte ich. Indessen ging zu Anfang alles gut: nur runzelte Wersilow über die Suppe mit Mehlklößchen ein wenig die Stirn und schnitt ein recht grimmiges Gesicht, als Srasy aufgetragen wurden.
    »Ich brauche nur zu sagen, daß mein Magen dieses oder jenes Gericht nicht verträgt, dann kommt es gleich am nächsten Tag auf den Tisch«, sagte er ärgerlich.
    »Aber was soll man denn machen, Andrej Petrowitsch?Neue Gerichte kann man sich doch nicht ausdenken«, antwortete Mama schüchtern.
    »Deine Mutter ist das vollständige Gegenteil von manchen unserer Zeitungen, bei denen alles, was neu ist, auch als gut gilt«, versuchte Wersilow zu scherzen, aber er brachte diese freundlich und humoristisch gemeinte Bemerkung nicht richtig heraus und verängstigte Mama dadurch nur noch mehr, die den Vergleich ihrer eigenen Person mit den Zeitungen natürlich nicht verstand und ratlos von einem zum andern blickte. In diesem Augenblick trat Tatjana Pawlowna ein; sie erklärte, sie habe schon zu Mittag gegessen, und setzte sich neben Mama auf das Sofa.
    Es war mir immer noch nicht gelungen, die Gunst dieser Dame zu erwerben; ja, sie fiel sogar noch ärger als früher bei jedem Anlaß und bei jeder Gelegenheit über mich her. Gerade in der letzten Zeit war ihre Unzufriedenheit mit mir besonders stark geworden; sie konnte meine stutzerhafte Kleidung nicht ausstehen, und Lisa hatte mir berichtet, sie habe beinahe einen Anfall bekommen, als sie gehört habe, ich hielte mir einen Fiaker. Ich vermied es schließlich nach Möglichkeit, mit ihr zusammenzutreffen. Zwei Monate vorher, nach dem Verzicht auf die Erbschaft, war ich zu ihr gelaufen, um ihr über Wersilows Handlungsweise mein Herz auszuschütten, hatte aber mit meinen Anschauungen bei ihr nicht den geringsten Anklang gefunden; im Gegenteil, sie war furchtbar aufgebracht gewesen: es mißfiel ihr sehr, daß Wersilow alles und nicht nur die Hälfte hingegeben hatte; mir gegenüber bemerkte sie damals in scharfem Ton:
    »Ich möchte darauf wetten, daß du davon überzeugt bist, er habe einzig zu dem Zweck das Geld hingegeben und den Fürsten zum Duell gefordert, um in Arkadij Makarowitschs Meinung zu steigen.«
    Und wirklich hatte sie es beinah erraten: ich hatte damals in der Tat eine derartige Empfindung.
    Sowie sie eintrat, war mir sofort klar, daß sie unbedingt auf mich loshacken würde; ich war sogar bis zu einem gewissen Grad davon überzeugt, daß sie eigens zu diesem Zweck hergekommen war, und deshalb begann ich auf einmal, mich höchst ungeniert zu benehmen; und das kostetemich auch gar keine Mühe, weil ich immer noch von vorher in Freude und Wonne schwamm. Ich bemerke ein für allemal, daß Ungeniertheit mir in meinem ganzen Leben nie gut gestanden hat, das heißt, sie paßt nicht zu meinem Gesicht, sondern hat mir vielmehr immer eine Blamage eingetragen. So geschah es auch diesmal: ich sagte sofort eine Dummheit; ich hatte wahrgenommen, daß Lisa sehr trübsinnig war, und platzte ohne jede böse Absicht, rein aus Leichtsinn und sogar ohne überhaupt zu bedenken, was ich sagte, mit der Bemerkung heraus:
    »Nun esse ich hier nur alle Jubeljahre mal zu Mittag, und da mußt du gerade so ein trübseliges Gesicht aufsetzen, Lisa!«
    »Ich habe Kopfschmerzen«, antwortete Lisa.
    »Ach, mein Gott«, fiel Tatjana Pawlowna, die Gelegenheit benutzend, sofort ein, »was will es schon besagen, daß sie krank ist? Arkadij Makarowitsch hat geruht zum Mittagessen herzukommen, da muß sie tanzen und vergnügt sein.«
    »Sie sind wahrhaftig das Unglück meines Lebens, Tatjana Pawlowna; ich werde nie wieder herkommen, wenn Sie hier sind!« Und bei diesen Worten schlug ich in

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