Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
auch nur darüber, daß Sie so schreckliche Ausdrücke gebrauchen ... Was bedeutet denn dieses ›eine spionierende Schlange‹?« fragte sie lachend.
    »Heute entschlüpfte Ihnen ein wertvoller Ausdruck«, fuhr ich in meiner Begeisterung fort. »Wie konnten Sie mir nur so ins Gesicht sagen, Sie hätten mit meinem heißen Blut gerechnet? Nun, wenn Sie auch eine Heilige sind und dies sogar selbst gestehen, da Sie sich irgendeine Schuld einbildeten und sich bestrafen wollten ... Obwohl übrigens keinerlei Schuld da war, denn wenn auch irgend etwas da gewesen sein sollte, so ist doch alles, was von Ihnen ausgeht, heilig. Aber Sie konnten es doch vermeiden, gerade dieses Wort, diesen Ausdruck zu gebrauchen! ... Eine solche geradezu unnatürliche Offenherzigkeit ist nur ein Beweis für Ihre ideale Keuschheit, für Ihre Achtung vor mir, für Ihr Vertrauen zu mir!« rief ich ohne Zusammenhang. »Oh, erröten Sie nicht, erröten Sie nicht! ... Und wer, wer konnte Sie so verleumden und von Ihnen sagen, Sie seien eine Frau mit allerlei Leidenschaften? Oh, verzeihen Sie mir; ich sehe einen Ausdruck der Qual auf Ihrem Gesicht; verzeihen Sie einem unreifen jungen Menschen, der außer sich geraten ist, seine plumpen Worte! Aber kommt es denn jetzt auf Worte und Ausdrücke an? Stehen Sie denn nicht über allen Ausdrücken ... Wersilow hat einmal gesagt, Othello habe nicht deswegen Desdemona und dann sich selbst getötet, weil er eifersüchtig gewesen sei, sondern weil man ihm sein Ideal geraubt habe ... Ich habe das verstanden, weil auch mir heute mein Ideal wiedergegeben worden ist!«
    »Sie loben mich zu sehr: ich verdiene das nicht«, sagte sie mit warmer Empfindung. »Erinnern Sie sich wohl noch an das, was ich Ihnen von Ihren Augen gesagt habe?« fügte sie scherzhaft hinzu.
    »Daß ich nicht Augen hätte, sondern statt der Augen zwei Mikroskope, und daß ich jede Fliege zu einem Kamel vergrößerte! Nein, hier ist nichts vergrößert! ... Wie, Sie gehen fort?«
    Sie stand mitten im Zimmer, ihren Muff und ihren Schal in der Hand.
    »Nein, ich warte noch, bis Sie fort sind, und gehe erst dann selbst. Ich will noch ein paar Worte für Tatjana Pawlowna aufschreiben.«
    »Ich gehe gleich, sogleich, aber noch einmal: mögen Sie glücklich werden, sei es allein oder mit dem, den Sie erwählen, das gebe Gott! Ich aber, ich brauche nur ein Ideal!«
    »Lieber, guter Arkadij Makarowitsch, seien Sie überzeugt, daß ich Sie ... Mein Vater sagte von Ihnen immer: ›Ein lieber, guter Junge!‹ Seien Sie überzeugt, ich werde immer an Ihre Erzählungen von dem armen, bei fremden Leuten lebenden Knaben und seinen einsamen Träumereien denken ... Ich kann es nur zu gut verstehen, daß Ihre Seele sich so hat entwickeln müssen ... Aber jetzt, wenn wir auch Studenten sind«, fügte sie mit einem bittenden, verschämten Lächeln hinzu, indem sie mir die Hand drückte, »jetzt dürfen wir nicht mehr miteinander wie bisher verkehren, und ... und Sie verstehen das gewiß selbst?«
    »Wir dürfen es nicht?«
    »Nein, wir dürfen es nicht, für lange Zeit nicht ... das ist nun meine Schuld ... Ich sehe, daß das jetzt ganz unmöglich ist ... Wir werden uns manchmal bei Papa sehen ...«
    »Sie fürchten mein ›heißes Blut‹, Sie trauen mir nicht?« wollte ich schon ausrufen; aber ihr Gesicht nahm auf einmal einen solchen Ausdruck der Scham an, daß mir die Worte nicht über die Lippen wollten.
    »Sagen Sie«, hielt sie mich noch einmal zurück, als ich schon dicht bei der Tür war, »haben Sie selbst gesehen, daß ... jener Brief ... zerrissen wurde? Besinnen Sie sich genau darauf? Woher wußten Sie damals, daß es eben jener Brief an Andronikow war?«
    »Krafft hat mir den Inhalt erzählt und mir den Brief sogar gezeigt ... Leben Sie wohl! Wenn ich bei Ihnen in Ihrem Zimmer war, so war ich in Ihrer Gegenwart immerschüchtern; wenn Sie aber hinausgegangen waren, so hatte ich die größte Lust, mich hinzuwerfen und die Stelle des Fußbodens zu küssen, wo Ihr Fuß gestanden hatte ...«, sagte ich auf einmal unwillkürlich, ohne selbst zu wissen, wie und warum ich es sagte; dann ging ich, ohne sie anzusehen, schnell hinaus.
    Ich fuhr nach Hause. Meine Seele war von Entzücken erfüllt; in meinem Kopfe wirbelte alles bunt durcheinander. Als ich zu Mamas Haus kam, erinnerte ich mich plötzlich an Lisas Undankbarkeit gegenüber Anna Andrejewna und an das harte, ungeheuerliche Urteil, das sie vorhin über diese ausgesprochen hatte, und das Herz tat mir

Weitere Kostenlose Bücher