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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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...«
    »A–a–ah!« ruft er, sich erinnernd; und verzieht das Gesicht zu einem langen Lächeln (hatte er mich denn wirklich vergessen?). »Ah! Also du bist das, du!«
    Er hilft mir auf und stellt mich auf die Beine; ich kann kaum stehen, mich kaum bewegen; er führt mich, indem er mich mit seinem Arm stützt. Er sieht mir in die Augen, als dächte er nach und besänne sich und als hörte er mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu; ich aber schwatze, soviel ich nur kann, ununterbrochen, ohne Pause, und ich bin so froh, so froh darüber, daß ich rede, so froh, daß das Lambert ist. Ob er mir nun als mein Retter vorkam oder ob ich nach ihm in diesem Augenblick griff als nach einem Menschen aus einer ganz andern Welt – ich weiß es nicht; ich stellte damals überhaupt keine Überlegungen an, aber ich griff nach ihm, ohne zu überlegen. Was ich damals sagte, habe ich vollständig vergessen, und ich werde auch wohl kaum etwas Vernünftiges, wohl kaum auch nur ein deutliches Wort hervorgebracht haben; aber er hörte aufmerksam zu. Er nahm die erste Droschke, die wir trafen, und wenige Minuten darauf saß ich schon im Warmen, in seinem Zimmer.

III
     
    Jeder Mensch, wer es auch sei, bewahrt gewiß die Erinnerung an irgendein Erlebnis, das er als etwas Phantastisches, Ungewöhnliches, Abnormes, beinahe Wunderbares ansieht oder anzusehen geneigt ist, sei es nun ein Traum oder eine Begegnung oder eine Prophezeiung oder eine Ahnung oder sonst etwas Derartiges. Ich bin bis auf den heutigen Tag geneigt, diese meine Begegnung mit Lambert als etwas geradezu Prophetisches anzusehen ... wenigstens nach den Umständen und Folgen dieser Begegnung zu urteilen. Übrigens ging das alles, wenigstens von der einen Seite, höchst natürlich zu: er befand sich einfach in halbtrunkenem Zustand auf dem Heimweg von einem seiner nächtlichen Geschäftsgänge (von welcher Art diese waren, wird später dargelegt werden), war in der Seitengasse an dem Tor einen Augenblick stehengeblieben und hatte mich erblickt. In Petersburg war er damals erst seit einigen Tagen.
    Das Zimmer, in dem ich mich befand, war klein, sehr einfach möbliert und gehörte zu einer gewöhnlichen Petersburger Pension mittleren Ranges. Lambert selbst war übrigens höchst elegant und kostbar gekleidet. Auf dem Fußboden standen zwei Koffer, die erst zur Hälfte ausgepackt waren. Eine Ecke des Zimmers war durch einen Wandschirm abgeteilt, der das Bett verbarg.
    »Alphonsine!« rief Lambert.
    »Présente!« antwortete hinter dem Bettschirm eine brüchige Frauenstimme mit Pariser Akzent, und nach nicht mehr als zwei Minuten kam Mademoiselle Alphonsine hervorgehüpft; sie war eben erst aus dem Bett aufgestanden und hatte in der Geschwindigkeit einen baumwollenen Sarafan angezogen – ein sonderbares Geschöpf, lang und mager wie ein Span, brünett, mit langer Taille, länglichem Gesicht, beweglichen Augen und eingefallenen Wangen – ein furchtbar abgelebtes Frauenzimmer!
    »Schnell!« (Ich übersetze, denn er sprach mit ihr französisch.) »Die Leute hier haben gewiß einen Samowar; schnell heißes Wasser, Rotwein, Zucker und ein Glas her! Aber schnell, er ist ganz erstarrt; es ist ein Freund von mir ... er hat die Nacht draußen im Schnee geschlafen ...«
    »Malheureux!« setzte sie an und schlug mit theatralischer Gebärde die Hände zusammen.
    »Willst du still sein!« herrschte Lambert sie an wie einen kleinen Hund und drohte ihr mit dem Finger; sie unterbrach sofort ihre Geste und lief hinaus, um den Auftrag auszuführen.
    Er besichtigte und betastete mich; er fühlte mir den Puls und legte seine Hand an meine Stirn und an meine Schläfen.
    »Sonderbar«, brummte er, »daß du nicht erfroren bist ... Allerdings stecktest du ganz und gar im Pelz, auch mit dem Kopf, du saßest in dem Pelz drin wie in einer Höhle ...«
    Das Glas mit dem heißen Getränk wurde gebracht, ich schlürfte es gierig, und es belebte mich sofort. Ich begann wieder zu schwatzen; ich saß in halbliegender Haltung in der Sofaecke und redete immerzu hastig und undeutlich, aber was ich eigentlich erzählte und wie ich es erzählte,daran habe ich wieder fast gar keine Erinnerung. Ich wiederhole: ob er damals etwas von meinen Erzählungen verstanden hat, weiß ich nicht, aber eins ist mir später klargeworden, nämlich: er hatte mich gerade hinreichend verstanden, um daraus zu schließen, daß er die Begegnung mit mir in ihrer Bedeutung nicht unterschätzen durfte... Später werde ich an passender Stelle

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