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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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auf mich zu: ich hatte, glaube ich, ein Fieberschauern oder vielleicht auch einen Ohnmachtsanfall bekommen. Ich kann es gar nicht schildern, was für einen bedrückenden, krankhaften Eindruck dieses halbverrückte Wesen auf mich machte. Vielleicht meinte sie, es sei ihr befohlen worden, mich zu unterhalten: wenigstens ließ sie mich keinen Augenblick in Ruhe. Vielleicht war sie einmal beim Theater gewesen; sie sprach mit einem schauderhaften Pathos, drehte sich hin und her und redete ohne Unterbrechung, ich aber schwieg schon lange. Alles, was ich aus ihren Erzählungen verstehen konnte, war, daß sie in irgendwelcher engen Verbindung mit der »Maison de monsieur Andrieux, hautes nouveautés, articles de Paris, etc.« gestanden hatte und vielleicht sogar aus der Maison de monsieur Andrieux herstammte; dann aber hatte ce monstre furieux et inconcevable sie irgendwie auf ewig von monsieur Andrieux weggerissen, und darin bestand nun die Tragödie ... Sie schluchzte, aber es schien mir, daß sie das nur so anstandshalber tat und überhaupt nicht weinte; manchmal hatte ich die Vorstellung, sie würde auf einmal wie ein Skelett vollständig auseinanderfallen; sie sprach die Worte mit einer gequetschten, brüchigen Stimme aus; das Wort préférable zum Beispiel sprach sie préfér-a-able und blökte den Vokal a wie ein Schaf. Als ich einmal zum Bewußtsein kam, sah ich, daß sie mitten im Zimmer eine Pirouette ausführte, aber sie tanzte nicht, sondern diese Pirouette stand ebenfalls in irgendeiner Beziehung zu der Erzählung, und Alfonsina mimte nur eine andere Person. Auf einmal stürzte sie auf ein kleines, altes, verstimmtes Klavier los, das im Zimmer stand, und begann darauf zu klimpern und dazu zu singen... Ich mag wohl etwa zehn Minuten langoder länger alles um mich herum vergessen haben oder eingeschlafen sein, aber das Bologneserhündchen fing an zu kläffen, und ich kam wieder zu mir: das Bewußtsein kehrte mir plötzlich für einen Augenblick in vollem Umfang zurück und machte mich innerlich wieder vollständig wach; ich sprang erschrocken auf.
    »Lambert, ich bin bei Lambert!« dachte ich, ergriff meine Mütze und stürzte zu meinem Pelz hin.
    »Où allez-vous, monsieur?« rief die achtsame Alfonsina.
    »Ich will weg, ich will hinausgehen! Lassen Sie mich, halten Sie mich nicht zurück!«
    »Oui, monsieur!« stimmte mir Alfonsina durchaus bei und lief selbst hin, um mir die Tür nach dem Flur zu öffnen. »Mais ce n'est pas loin, monsieur, ce n'est pas loin du tout, ça ne vaut pas la peine de mettre votre Pelz, c'est ici près, monsieur!« schrie sie, daß es über den ganzen Flur schallte.
    Nachdem ich aus dem Zimmer hinausgelaufen war, wandte ich mich nach rechts.
    »Par ici, monsieur, c'est par ici!« rief sie aus voller Kehle und krallte sich mit ihren langen, knochigen Fingern in meinen Pelz, während sie mit der andern Hand irgendwohin auf dem Flur nach links zeigte, wohin ich gar nicht gehen wollte. Ich riß mich los und lief zu der nach der Treppe führenden Eingangstür.
    »Il s'en va, il s'en va!« kreischte Alfonsina mit ihrer brüchigen Stimme hinter mir her. »Mais il me tuera, monsieur, il me tuera.« Aber ich war schon auf die Treppe hinausgerannt, und obwohl sie mir sogar auf der Treppe nachsetzte, gelang es mir doch, die Haustür zu öffnen, auf die Straße hinauszustürmen und mich in die erste beste Droschke zu werfen. Ich nannte dem Kutscher Mamas Adresse ...

IV
     
    Aber das Bewußtsein, das für einen Augenblick aufgeflackert war, erlosch sehr bald wieder. Ich habe nur noch eine ganz schwache Erinnerung daran, wie ich nach Hause fuhr und zu Mama geführt wurde; dann aber verfiel ichfast augenblicklich in vollständige Bewußtlosigkeit. Am andern Tage wurde, wie man mir später erzählte (ich erinnerte mich auch selbst daran), mein Verstand wieder für kurze Zeit klar. Ich fand mich in Wersilows Zimmer auf seinem Sofa; ich erinnere mich an die Gesichter Wersilows, Mamas und Lisas um mich herum; ich erinnere mich deutlich, daß Wersilow mir etwas von Serschtschikow und vom Fürsten sagte, mir einen Brief zeigte und mich zu beruhigen suchte. Sie erzählten mir später, ich hätte immer voller Angst nach einem Lambert gefragt und immer das Gebell eines Bologneserhündchens zu hören geglaubt. Jedoch das schwache Licht des Bewußtseins erlosch bald wieder: am Abend dieses zweiten Tages lag ich schon mit hohem Fieber. Aber ich will das, was ich erst später erfuhr, vorwegnehmen und gleich

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