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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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gewissen Neugier; der eine Zipfel des Tüchleins bewahrte noch vollständig die Spuren des früher hineingebundenen Knotens und sogar den deutlich ausgeprägten Abdruck einer Geldmünze; übrigens legte ich das Tuch wieder an seinenPlatz und schob den Kasten hinein. Das war am Vorabend eines Sonntags, und die Glocke läutete zum Spätgottesdienst. Die Zöglinge waren schon nach dem Mittagessen nach Hause zu ihren Familien gefahren, aber Lambert blieb diesmal über Sonntag da, weil er – ich weiß nicht warum nicht abgeholt worden war. Er prügelte mich zwar auch damals noch von Zeit zu Zeit wie früher, teilte mir aber schon sehr vieles vertraulich mit und konnte den Umgang mit mir nicht entbehren. Wir redeten den ganzen Abend über von Lepageschen Pistolen, die weder der eine noch der andere von uns jemals gesehen hatte, von Tscherkessensäbeln und den Hieben, die man damit führen könne, und wie schön es sei, eine Räuberbande zu gründen, und zuletzt ging Lambert zu seinem Lieblingsgespräch über, das heißt zu einem gewissen schmutzigen Thema, wobei ich gewöhnlich, obwohl ich mich im stillen wunderte, doch sehr gern zuhörte. Diesmal aber wurde es mir plötzlich unerträglich, und ich sagte ihm, ich hätte Kopfschmerzen. Um zehn Uhr legten wir uns schlafen; ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und holte unter dem Kissen das blaue Tüchlein hervor: ich hatte es aus irgendeinem Grund eine Stunde vorher wieder aus dem Schubkasten geholt und es, sobald unsere Betten aufgedeckt waren, unter das Kissen geschoben. Ich drückte es sogleich an mein Gesicht und begann es plötzlich zu küssen: »Mama, Mama«, flüsterte ich, und bei dieser Erinnerung hatte ich ein Gefühl, als ob mir die Brust in einem Schraubstock zusammengepreßt würde. Ich machte die Augen zu und sah ihr Gesicht mit den zuckenden Lippen vor mir, als sie sich, nach der Kirche hingewandt, bekreuzigte und darin mich bekreuzigte und ich zu ihr sagte: »Ich muß mich ja schämen, sie sehen alle nach uns her.« »Mama, Mamachen, ein einziges Mal im Leben bist du bei mir gewesen ... Mamachen, wo bist du jetzt, nachdem du mich von so weit her besucht hast? Denkst du jetzt an deinen armen Jungen, zu dem du gekommen warst? ... Zeig dich mir wenigstens noch ein einziges kleines Mal, erscheine mir wenigstens im Traum, damit ich dir sagen kann, wie lieb ich dich habe, damit ich dich umarmen und deine blauen Augen küssen und dir sagen kann, daß ich mich deiner jetzt ganz und gar nicht schäme und daß ich dichauch damals liebgehabt habe und daß mir das Herz damals weh tat und ich nur äußerlich wie ein Lakai dasaß. Du wirst es nie erfahren, Mama, wie lieb ich dich damals gehabt habe! Liebes Mamachen, wo bist du jetzt? Hörst du mich? Mama, Mama, denkst du auch wohl noch an die Taube in der Dorfkirche?«
    »Hol's der Teufel ... Was hat er nur!« brummt Lambert von seinem Bett her. »Warte, ich zeig dir's! Läßt einen nicht schlafen ...« Er springt schließlich aus dem Bett, läuft zu mir hin und versucht, mir die Bettdecke wegzureißen, aber ich habe sie mir um den Kopf gewickelt und halte sie mit aller Anstrengung fest.
    »Du flennst ja, was flennst du denn, du Schafskopf? Da hast du was?« Mit diesen Worten haut er auf mich los, schlägt mich schmerzhaft mit der Faust auf den Rücken, in die Seite, immer schmerzhafter und schmerzhafter, und ... ich mache auf einmal die Augen auf ...
    Es ist schon recht hell geworden, die Eisnadeln blitzen in der Kälte auf dem Schnee und an der Mauer ... Ich sitze zusammengekrümmt, kaum noch lebendig, erstarrt in meinem Pelz da, und es steht jemand über mir und weckt mich, indem er laut schimpft und mich mit der Spitze des rechten Fußes schmerzhaft in die Seite stößt. Ich richte mich auf und sehe: es ist ein Mann in einem kostbaren Bärenpelz, mit einer Zobelmütze, mit schwarzen Augen, mit pechschwarzem, stutzerhaftem Backenbart, mit gebogener Nase, mit weißen, mich angrinsenden Zähnen, mit einem weißen und roten Gesicht, das wie eine Maske aussieht ... Er hat sich ganz nahe über mich gebeugt, und bei jedem Atemzug strömt in der Kälte Dampf aus seinem Mund.
    »Ganz erstarrt ist er, du besoffenes Vieh, du Schafskopf! Du wirst hier erfrieren wie ein Hund; steh auf! Steh auf!«
    »Lambert!« schreie ich.
    »Wer bist du denn?«
    »Dolgorukij.«
    »Zum Teufel, was für ein Dolgorukij?«
    »Einfach Dolgorukij! ... Touchard ... Ich bin der, dem du in dem Restaurant die Gabel in die Seite gestoßen hast

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