Der Jüngling
Tischchen, ich aber saß mit niedergeschlagenen Augen da, machte jedoch eine großartige, würdevolle Miene. Wer weiß, vielleicht wünschte ich auch, es sie merken zu lassen, daß ich mich ihres Besuches vor meinen Mitschülern schämte, ihr wenigstens ein klein bißchen zu verstehen zu geben: »Du blamierst mich und hast nicht einmal Verständnis dafür!« Oh, ich lief schon damals mit der Bürste hinter Touchard her, um ihm die Stäubchen abzubürsten! Ich malte mir auch aus, wieviel Spöttereien ich von den andern Knaben würde zu ertragen haben, sobald sie weggegangen wäre, und vielleicht von Touchard selbst – und nicht dasgeringste gute Gefühl regte sich in meinem Herzen. Nur mit Seitenblicken betrachtete ich ihr dunkles, recht altes Kleid, ihre ziemlich groben Hände, welche wie die einer Magd aussahen, ihre sehr plumpen Schuhe und das stark abgemagerte Gesicht; ihre Stirn war schon von kleinen Runzeln durchfurcht, und trotzdem sagte Antonina Wassiljewna nachher am Abend nach ihrem Weggehen zu mir: »Ihre Mama ist gewiß einmal sehr hübsch gewesen.«
So saßen wir da, und auf einmal kam Agafja mit einem Tablett herein, auf dem eine Tasse Kaffee stand. Es war die Zeit nach dem Mittagessen, und Herr und Frau Touchard tranken immer um diese Zeit bei sich in ihrem Wohnzimmer Kaffee. Aber Mama dankte und nahm die Tasse nicht: wie ich später erfuhr, trank sie damals überhaupt keinen Kaffee, weil er ihr Herzklopfen verursachte. Die Sache war die, daß die Touchards schon den Besuch meiner Mutter und die ihr erteilte Erlaubnis, mich zu sehen, im stillen offenbar für eine außerordentliche Herablassung von ihrer Seite hielten, so daß sie nun gar die meiner Mutter geschickte Tasse Kaffee sozusagen als eine edle Tat der Humanität betrachteten, eine Tat, die ihren zivilisierten Gefühlen und ihrer westeuropäischen Denkweise die größte Ehre machte. Und nun mußte es gerade passieren, daß Mama den Kaffee ablehnte.
Ich wurde zu Touchard gerufen, und er befahl mir, alle meine Hefte und Bücher zu nehmen und sie meiner Mama zu zeigen: »Damit sie sieht, wieviel Kenntnisse Sie in meinem Institut schon erworben haben.« Antonina Wassiljewna aber verzog den Mund und sagte übelnehmerisch und spöttisch zu mir:
»Ihrer maman scheint unser Kaffee nicht zuzusagen.«
Ich suchte meine Hefte zusammen und trug sie zu Mama hin, die auf mich wartete, vorbei an den »Grafen- und Senatorensöhnen«, die sich im Klassenzimmer zusammendrängten und mich und Mama betrachteten. Mir aber machte es sogar Freude, Touchards Weisung mit buchstäblicher Genauigkeit auszuführen. Ich begann geradezu methodisch meine Hefte aufzuschlagen und zu erklären: »Dies hier sind Aufgaben aus der französischen Grammatik, dies hier Diktate, dies hier ist die Konjugation der Hilfszeitwörteravoir und être; das ist aus der Geographie, eine Beschreibung der Hauptstädte Europas und der andern Erdteile« und so weiter und so weiter. Ich setzte ihr das etwa eine Stunde lang oder länger mit meiner gleichmäßigen Knabenstimme auseinander, wobei ich die Augen sittsam niederschlug. Ich wußte, daß Mama von den Wissenschaften nichts verstand und vielleicht nicht einmal schreiben konnte, aber gerade deswegen gefiel mir meine Rolle so gut. Indes vermochte ich nicht, sie zu ermüden – sie hörte, ohne mich zu unterbrechen, alles mit der größten Aufmerksamkeit und sogar mit einer Art Andacht an, so daß mir selbst schließlich die Sache langweilig wurde und ich aufhörte; ihr Blick war übrigens traurig, und ihr Gesicht trug einen schmerzlichen Ausdruck.
Endlich erhob sie sich, um fortzugehen; auf einmal trat Touchard selbst herein und fragte sie mit dumm-wichtiger Miene, ob sie mit den Fortschritten ihres Sohnes zufrieden sei. Mama murmelte ein paar unzusammenhängende Worte und bedankte sich; auch Antonina Wassiljewna trat herzu. Meine Mutter begann nun beide zu bitten: »Verlassen Sie die arme Waise nicht, er ist ja jetzt so gut wie eine Waise, erweisen Sie ihm Ihr Wohlwollen ...«, und mit Tränen in den Augen verneigte sie sich vor ihnen beiden, vor jedem einzeln, vor jedem mit einer tiefen Verbeugung, so wie sich eben »einfache Leute« verneigen, wenn sie mit irgendeiner Bitte zu vornehmen Herrschaften kommen. Herr und Frau Touchard hatten das nicht erwartet, und Antonina Wassiljewna wurde sichtlich milder gestimmt und änderte natürlich ihre Schlußfolgerung hinsichtlich der Tasse Kaffee. Touchard gab mit betonter Würde die humane
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